Live by Night

Was eine Kupplung alles auslösen kann.

Voll ehrlicher Hingabe, innigen Pathos‘ und breitbeinig staatstheaterlich mit einer dezidiert Undeutlich-Sprachregie (Hommage an den Manierismus eines Marlon Brando?), so dass selbst die englische Version mit englischen Untertiteln gezeigt wird, spielt und inszeniert Ben Affleck (und das Drehbuch hat er auch noch selbst geschrieben, der Tausendsassa!, nach dem Roman von Dennis Lehane) die Geschichte des traumatisierten 1. Weltkriegsveterans Joe Coughlin, der nach dem Krieg ein nicht grausamer Gangster sein will und nach vielen Leichen im Krieg und nach dem Krieg endlich sein Rattan-Glück mit Graciela (Zoe Saldana) findet.

Die Amis müssen in einer tiefen Identitätskrise stecken, dass sie dauernd die Heldenfrage stellen; gerade letzte Woche startete bei uns Mel Gibsons mit Hacksaw Ridge, die Geschichte vom Soldaten, der nicht schießen wollte oder auch mit heutigem Kinostart Die irre Heldentour des Billy Linn von Ang Lee mit der Geschichte vom missbrauchten Irakkriegshelden. Ist wohl kein einfacher Prozess und ein weiter Weg, vom Leitbild des Revolverhelden wegzukommen, der sich unterm Strich nicht bewährt hat.

Der Film fängt ruhig und fotobuchtechnisch an mit wenigen Bild-Impressionen vom ersten Weltkrieg, an dem Joseph, so der ganze Vornamen, der schnell pathosmagnetisch wirkt, teilgenommen hat, um in Frankreich die Hunnen zu jagen, wie er anmerkt.

Dass er ein sensibler Mensch ist, beweist er dadurch, dass er so etwas nicht mehr möchte. Aber wovon leben im Boston von 1917, schon damals aufgeteilt zwischen den Iren und den Italienern (wurde mit Black Mass kürzlich in die 70er und 80er Jahre fortgeschrieben)?

Der Vater von Joe (Brendan Gleeson) ist Polizeichef in Boston. Joe macht mit einer Gang Überfälle. Er verliebt sich in die faszinierende Emma Gould (Elle Fanning). Sie ist auch die Geliebte des Gangsterbosses Albert White (Robert Glenister). Joe kann sie treffen, wenn White nicht in der Stadt ist. Sie beschäftigt seinen Geist. Lenkt ihn ab. Bei einem Überfall reagiert er als Fahrer des Fluchtfahrzeuges wegen Gedankenflausen verlangsamt, hat Probleme mit der Kupplung. Das ergibt im Film die erste Schießerei mit schönen alten Autos.

Er ist geradezu besessen von Emma Gould (Sienna Miller). Frauen und ihr verhängnisvoller Einfluss auf Männer. Denn Emma ist eine Schlampe, eine Nutte, ein Luder, eine Verräterin – später im Film wird eine andere attraktive Frau zur Erpessung eingesetzt, es ist in Florida die Tochter des dortigen Sheriffs, Loretta Figgis (Elle Fanning), was sich zu einer ganz üblen Nebengeschichte mit unerwarteter „Heilung“ und religiösem Touch und also geschäftshindernd auswachsen wird.

Boston war für Joe nach dem Versagen beim Überfall und der Geschichte mit Emma verbrannte Erde. In Ybor-City in Florida will er mit seinem Kumpel Maso (Remo Girone) die Kartelle aufmischen, um gegen White anzutreten.

In Tampa trifft er Graciela, die den bedeutungsschwangeren Satz spricht, er sei nicht grausam genug für einen Gangster und ihn damit aufweicht und gewinnt, ihn bereit macht für die spätere Rattanhäuslichkeit; ihr Initialkicksatz: we will never be lovers.

Das Geschäft in der Zeit der aufkommenden Depression ist der Alkohol, der Rum, denn es herrscht die Prohibition. Halb Tampa ist unterhöhlt und ausgestattet mit heimlichen Schnapsbrennereien.

Ein Knackpunkt im Film wird die absehbare Aufhebung der Prohibition sein, denn von dem Tag an werden die Gangs ihre lukrative Einnahmequelle verlieren. Joseph träumt von einem spektakulären Spielcasion, was ihm weiterhin Erlöse bescheren soll. Diese Idee wird sich jedoch als unerwartetes Hindernis erweisen, das nicht gewollte und nicht gewünschte Komplikationen zur Folge hat und das Motiv der Nicht-Grausamkeit von Joe auf den Prüfstand stellt.

Ben Affleck bemüht sich um Glaubwürdigkeit, versucht den Eindruck historischer Genauigkeit zu erwecken mit Kostüm, Ausstattung und informationsüberladener Geschichte. Auch gibt es Kameraeffekte, die sich breit Raum nehmen, der Schuss auf das Auge eines erschossenen Gangsters durch das Durchschussloch an der Autoscheibe oder der Aufwand um einen Blutstropfen bei Digger Pescatores Tod. Das ist ein achtbares Ansinnen, dehnt den Film allerdings auf über zwei Stunden. Bei den pausenlosen Dialogen ist man vor allem damit beschäftigt, die nicht enden wollenden Untertitel, die noch dazu sehr kurz nur aufscheinen, zu lesen.

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