Die letzte Sau

Was ist hier bloß schief gelaufen?

Hat ein deutscher Regisseur, Aron Lehmann, der mit Stephan Irmscher auch das Buch geschrieben hat, die Bescheidenheit, eine ganz einfache Geschichte erzählen zu wollen mit einem sympathischen Hauptdarsteller mit einem ganz klaren Problem und man weiß auch wo man sich befindet, auf dem Huberhof im Schwäbischen, sympathiegewinnend kommt hinzu, dass im Film viel schwäbischer Klang vorkommt, auch der Erzähler, Herbert Knaup, ist ein starker Punkt, da hat der Regisseur eine starke Geschichte im Visier von kleistscher Dramatik, nicht zufällig wohl, hat er doch mit Kohlhaas oder die Verhältnismässigkeit der Mittel vor vier Jahren debütiert, dann mit Highway to Hellas seine zweite, weniger gute Vorstellung geliefert und möchte sich jetzt erheben über beides mit einer starken Ausgangskonstellation.

Der Kleinbauer Huber, Golo Euler, steht vor dem nichts. Er ist ein Opfer der Industrialisierung der Landwirtschaft. Für ihn als kleinen Schweinebauer sieht die Zukunft düster aus und ebenso eine allfällige Liebe zur Tochter der Landwirtschaftsindustriellen Obermeier-Agrar Birgit (Rosalie Thomas). Das ist nichts für ihn. Fehlt nur noch ein Meteoriteneinschlag in seinen Schweinestall, ein dramatischer Kunstgriff von kleistschem Ausmaß, da ist seine Existenz ruiniert. Ein einziges Schwein und sein Motorrad mit Beiwagen bleibt ihm.

Nach etwa einer halben Stunde spannender Exposition geht’s los mit dem Kohlhaasschen Ausgestoßenen-Road-Movie mit dem Motorrad und dem Schwein im Beiwagen. Huber fängt mit den ersten Anschlägen gegen die industrielle Landwirtschaft an, Schweinebefreiungsaktionen und Parolen auf den Wänden.

Bald schon bekommt Huber einen Gefährten, den Imker Meier, Thorsten Merten, dem die industrielle Landwirtschaft die Bienenvölker vergiftet. Auch hier gibt es eine schöne Aktion gegen einen Traktor, der an riesigen Sprüharmen Gift über die Kornfelder abgibt.

Oder die beiden nehmen sich ein Stück öffentliches Seeufer und stören eine widerrechtlich abgezäunte Grillparty. Anarchistische Unternehmen von Verzweifelten, Entrechteten, Überrannten, an den Rand Gedrängten. Ihr Motto: „Deshalb müssen wir Leuchtfeuer anzünden“, sie wollen Aufmerksamkeit erregen.

Dann ist Huber wieder allein und verändert sich auch äußerlich zum Outcast, schmiert schwarze Farbe ins Gesicht, absolviert Terror-Auftritte mit einem Sack mit Löchern überm Kopf und einer Knarre um, um Tiere zu befreien.

Allerdings bleibt der Film jetzt zu bemüht bei ihm, blendet die Reaktion der Umwelt auf seine Taten aus, das Leuchtfeuer leuchtet nicht, man weiß nicht, ist es Zufall oder Ziel, dass Huber plötzlich in Brandenburg landet und ausgerechnet in der viehindustriellen Dependance von Birgits Vater, die diese leitet.

Der Film vergisst, dass die Gesellschaft und die Medien Notiz von den Taten nehmen, dass sie zur Jagd auf diese Terroristen bläst, was für ihn das Leben noch schwieriger macht. Das passiert in einer interessanten Parallele, in Hans Fallads „Jeder stirbt für sich allein“, die ab 17. November als ausgezeichnete Literaturverfilmung im Kino zu sehen sein wird.

Im letzten Drittel verläuft sich die Anarcho-Schiene wie beliebig und auch nicht mehr so glaubwürdig, wie die Geschichte exponiert worden ist, sie verliert zusehends den Zusammenhang zur Realität. Es taucht plötzlich eine paramilitärische Truppe auf, die Huber anstelle eines erschossenen Mitgliedes ohne Federlesens aufnimmt. Da verliert auch Huber seine klare Linie.

Das Ende wirkt wie ein eilig zusammengeschnürter Sack nach einer kurzen, ansatzweise dadaistischen „Scheißdrecks“-Arie.

Ein schöner Moment ist Hubers Selbst-Initiation zum Anarchisten am Lagerfeuer im Wald mit dem Tanz und den rituell gedehnten Worten dazu und der Schwarzbemalung.

Durch die Inkonsequenz oder durch die Aufgabe der anfänglichen Konsequenz verliert die Geschichte allerdings massiv an ihrer harten, politischen Brisanz. Hoffen wir, dass nicht das koproduzierende Fernsehen mit unkundigem Finger drin rumgestochert hat. Wie ein brisantes, sozial-gesellschaftliches Thema schmerzhaft bis zum letzten Punkt behandelt werden kann, das zeigt uns ab 24. November Ken Loach in „Ich, Daniel Blake“.

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