Tschick

Absicht und Stil sind gut: einen nüchternen Blick zu werfen auf ein Stück ungeschminkter bundesdeutscher Realität, auf Verwahrlosungen in unterschiedlichen sozialen Bereichen hinzuweisen.

Da ist der 14-jährige, pubertierende Junge Maik, der noch wie ein Mädchen aussieht, aber schon eine etwas tiefere Stimme hat. Er kommt aus erfolgreich kaputtem Hause. Mutter Alkoholikerin, Vater auf Geschäftsreise mit junger Mitarbeiterin, Vorzeige-Luxushaus, betonklotzartig, mitten in einem leeren Baugebiet, in welchem aus Naturschutzgründen nicht weiter gebaut werden darf.

Tschick, der russlandstämmige Junge, der aus dem Heim kommt, Anand Batbileg, ist 15 und wirkt reifer. Dann noch das Mädchen, das die beiden auf ihrer sommerlichen Ausbüchstour unterwegs auflesen.

Über die Stränge schlagen, einfach losziehen. Ein Auto klauen, durch Maisfelder fahren, über einen schwankenden Holzrollensteg steuern, in einem Stausee sich mit Seife waschen und schwimmen, unter Windrädern campieren, moderne und altmodische Romantik gemischt, in der Nähe picknickt eine gräfliche Familie.

Erstaunlich, dass die Kids bei ihrem Coming-of-Age-Rodamovie-Abenteuer nicht zu Alkohol und Drogen greifen. Ein Klischeeverzicht. Zigaretten sind das einzige.

Es gibt Probleme mit der Benzinbeschaffung, mit einem Fahrradpolizisten und auch mit der Polizei. Es gibt Frühstück bei einer Famillie auf dem Bauernhof mit Erziehungs- und Lehranspruch, Captain Fantastic-ähnlich; die ausbüchsenden Jungs stehen beim Wissensspiel belämmert da, immerhin wissen sie, dass Berlin die Hauptstadt von Deutschland ist.

Fatih Akin (The Cut) erzählt in klaren Bildern. Nüchternes Protokoll einer Reise von Kids, die keine Regeln außer vielleicht einer Ahnung von Freundschaft kennen.

Über die sehr klaren Bilder wird – und das nicht zu knapp – eine zudröhnende Jugendmusik geknallt.

Die Absicht ist gut, die Bilder sind klar. Die Probleme fangen für mich beim Drehbuch an. Es handelt sich um die Verfilmung einer Romanvorlage von Wolfgang Herrndorf nach dem Drehbuch von Lars Hubrich und Hark Bohm.

Es ist ein Perspektivenproblem. Der Film heißt Tschick, hat also den genial natürlich spielenden Asien-Zuwanderer mit lässiger Berliner Schnauze im Visier und kündet ihn als Hauptperson an. Der Icherzähler aber ist Maik. Der ist nun noch ein recht grüner Junge, eine auch durch die Besetzung unklare Figur, ok, sicher gestört durch die familiären Verhältnisse. Es scheint also um Maikes Faszination durch Tschick zu gehen. Eine ungefestigte Person, eine, die gerade anfängt, einen existentiellen Wandel durchzumachen (Signal sind die langen Haare, Symbol der Verpuppung, die dann auch, das ist zumindest theoretisch plausibel, als Zeichen der Entwicklung abgeschnitten werden).

Es geht um ein Coming-of-Age inmitten gesellschaftlich-sozialer Verwerfungen; das ist vielleicht auch ein Handicap – einerseits – vielleicht aber auch der Schlüssel zur Freiheit, die sich die Jungs nehmen; oder das Milieu, in dem sich so ein Prozess überhöht darstellen lässt.

Ja, vielleicht ist das mein Problem mit dieser Geschichte, dass ich dem Jungen diese Erzählung nicht zutraue. Ok, der mag das später als Autor aufgeschrieben haben. Als Roman. Aber wie das zu einem Drehbuch umarbeiten, das einen vom ersten Moment an fesselt? Müsste dann die Hauptfigur, also Maik, nicht viel gründlicher beleuchtet werden? Ihn nur mit einem haarbevorhangten, unsicheren Jungen zu besetzen, ja, vielleicht ist es ein Besetzungeproblem, scheint mir nicht zu genügen. Wenn er später ein Autor wird, so müsste er doch mindestens als ein aufmerksam beobachtender Junge dargestellt werden; was mir so nicht der Fall zu sein scheint; damit das spätere Aufschreiben der Geschichte eine Plausibilität erhält. Es müsste seine Empfindsamkeit für die Situationen spürbar sein.

Auch das spätere Geständnis von Tschick, er sei schwul, kommt wie aus heiterem Himmel. Mindestens erahnen müsste man das; so wirkt es irgendwie unplausibel, warum er mit dem grünen Jungen überhaupt anbandelt.

Der Darsteller des Tschick mit seiner unverschämten Lockerheit und Natürlichkeit wirft ein anderes Problem auf, lässt den übrigen Cast weit im Schatten stehen, lässt ein Besetzungsproblem spürbar machen. So wirkt der Film wie eine brave Ab-Blatt-Inszenierung. Das Problem ist, dass mit der Hauptfigur Maik keine besondere Empathie entsteht und damit auch keine Spannung, dass wie mir scheint, eine unüberwindliche Diskrepanz zwischen Erzählung von Maik und der Besetzung und Darstellung von Maik sich auftut.

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