Big Jato (Filmfest München 2016)

„Steinfisch“ hat eine mehrfache Bedeutung in diesem Film von Cláudio Assis nach dem Roman von Xico Sá.

Steinfisch ist eine etwas erhöhte Position in der Gegend in Brasilien, in der der Film spielt, weil hier einmal das Meer gewesen sei, man kann ins Gestein Fischformen hineininterpretieren.

Steinfisch garantiert für dem Film schöne Landschaftsbilder von Brasilien, da wo es gut bewachsen, aber kein Urwald ist.

Steinfisch bezeichnet die Geisteshaltung dieser Provinzmenschen, bezeichnet das geistige Gefängnis, in dem sich unser Protagonist befinden.

Steinfisch gibt Anlass, Universaltheorien zu entwickeln; diese sind ein häufiges Thema in den pausenlosen Konversationen.

Xico ist der etwa 15jährige Protagonist, bebrillt, lockenkopfig, aufgeweckt, sensibel. Er fährt mit seinem Vater, Alkoholiker, aber mit ruhelosem Geist, und dessen Tavernenwagen zur hygienisch-desinfizierenden Reinigung von Müllbehältnissen. Mit Scheiße handeln, heißt es an einer Stelle. Der Wagen ist fröhlich mit „Big Jato“ und vorne protzig mit den Initialen „BJ“ angeschrieben.

Vater und Sohn, Francisco Senior und Junior, fahren in diesem Gefährt durch das grüne, hügelige Brasilien auf braun-roter Piste und plaudern pausenlos drauflos, dazu läuft das Radio, in welchem Onkel Nelson, ein ähnlich lebensfreudiger Typ wie Xicos Vater, die Moderation macht, auch er ist kein Kostverächter, wenn es um Frauen geht, dafür wird er noch im Gefängnis landen, weil eine vielleicht etwas zu jung war.

Dem Vater gefallen die dichterischen Ambition von Xico gar nicht; er hält Dichter für Sissies, Fagotts, Perverse. Er schleppt Xico mit in den Puff. Hier geht es ihm ähnlich wie Alejandro Jodorovskys Jugend-Double in Poesia sin Fin, er besteht den Test. Ist somit eingeführt in die Kunst der Liebe.

Der Vater möchte, dass Xico Mathematik studiert und nicht Literatur, damit er geschäftlich etwas auf die Beine stellen kann; sich selber ist er gar nicht bewusst, dass seine große Familie, nebst Xico gibt es noch die älteren Brüder George und David und das kleine Schwesterchen Maria Helena, ohne den Kosmetik-Verkauf, den die Mutter betreibt, nicht ernähren könnte. Mutter träumt davon, eines Tages aufzuwachen, und alles sei schön.

Nelson schenkt Xico eine Schreibmaschine und der fängt an, Gedichte zu schreiben. Wie Nelson im Gefängnis steckt (man nimmt es locker, später wird er dort eine große Geburtstagsparty schmeißen mit der Band „The Betos“ mit dem bekannten Song „Let it lie“), übernimmt Xico die Moderation bei Radio Ororubá und alle hören gebannt dem Gedicht zu, das er Ana Paula widmet, dem Mädchen, das aus der Stadt zurückgekehrt ist und in das er sich verliebt hat.

Onkel Nelson empfiehlt Xico, aus Steinfisch wegzugehen, was dieser erst kapiert, nachdem der Vater ihn kräftig verdroschen und als Schwächling und Weichei beschimpft hat – bis anhin hatte er geglaubt, die Liebe sei die Befreiung.

Die pubertären Verwandlung laufen bei Xico, im Gegensatz zum russischen The Student wohlaufgehoben im lebhaften Familienmilieu ab. Hier ist kein Platz für Depression, hier ist kein Platz für Fanatismus, hier ist kein Platz für bedeutungsvolles Einzelgängertum. Hier gibt es ein pausenloses Menschentum, pausenlos Regungen, Flachserei, Talk, Gespräche. Eine der Standardredensarten des Vaters ist, alles sei kontrovers und außerdem ist da der ältere Herr Prinz, mit dem man Lebensweisheiten austauschen kann. Einsamkeit gibt es hier nicht. Insofern ist es nicht leicht, sich zu lösen; dazu bedarf es offenbar der Dresche des Vaters.

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