Sperrfristen und Pinkies

Was ich nicht verstehe, ist neben der Quantenphysik auch die Vielzahl von undurchsichtigen Entscheidungen der Filmverleiher und deren Film-PR-Agenturen. Zwei Beispiele:

Am Freitag habe ich Planet Terror von Robert Rodriguez gesehen, der zweite Film des Grind House-Pakets. Beim Einlaß mußte ich neben der üblichen Anwesenheitsliste auch eine Sperrfristklausel unterzeichnen, die mir verbietet, vor dem 1. August eine Kritik über den Film zu veröffentlichen. Abgesehen davon, daß man diese Klausel auch vielleicht im Presseheft erwähnen sollte (wer liest schon alles, was er unterschreibt?), und abgesehen davon, daß Sperrfristen ganz allgemein keine juristische Verbindlichkeit haben, kann ich nicht nachvollziehen, wieso ich nicht über den Film schreiben darf. Immerhin ist er (als Paket mit Death Proof) in den USA (dem Nabel der Welt aller Filmmarketingentscheidungen) bereits am 6. April angelaufen, also vor fast zwei Monaten, und konnte von über 200 Millionen erwachsenen Amerikanern gesehen werden. Die IMDb listet 225 externe Reviews, und bei Rotten Tomatoes erreicht die US-Version stolze 81% fresh bei derzeit 172 Kritiken. Wieso also diese Geheimhaltung?

Es ist ja nicht so, daß es sich hierbei um die Oscarpreisträger handelt, die erst heute Abend auf der Gala bekanntgegeben werden, aber schon morgen in der Zeitung stehen sollen und die der Presse daher vorab mitgeteilt wurden, nein, es handelt sich um einen Film, der schon Ewigkeiten läuft, vor dem deutschen Start (von Planet Terror) immerhin in Kanada, den USA, Israel, Rußland, Bulgarien, Brasilien, Estland, Dänemark, Finnland, Norwegen, Griechenland, Spanien, Frankreich und den Niederlanden zu sehen sein wird. Und mir wird verboten, zu veröffentlichen, daß er mir gefallen hat. Upps, jetzt ist es raus.

Pinkies: Ich weiß zwar nicht, woher der Name genau kommt, aber unter einer Pinkie versteht man eine Pressevorführung, die weit vor den „normalen“ Pressevorführungen liegt, und für nur wenige Besucher gedacht ist. Hierbei handelt es sich der Definition nach um extreme Langplaner, als Magazine mit ewig langen Vorbereitungszeiten, meist Hochglanzblätter aus der Mode- und Lifestyle-Welt, die arbeitsreiche Fotostrecken produzieren lassen und deren Redaktionsschluß meist Monate vor dem Erscheinungstermin liegt. Das fiktive Runway-Magazin aus Der Teufel trägt Prada wäre so ein Beispiel.

Es mag ja wenig sinnvoll sein, die Kollegen der Tagespresse in eine PV zu laden, die drei Monate vor Filmstart stattfindet, denn sie werden allesamt vergessen haben, worum es in dem Film überhaupt ging, bevor die Deadline naht, aber in der heutigen Zeit sind Pinkies in ihrer klassischen Form wirklich dinosaurig. Warum?

Zum einen werden Filme seit dem Erstarken des Internets nicht mehr so gern vorab vorgeführt, weil die Verleiher Angst vor Raubkopien haben. (Siehe die eigene Blog-Kategorie Filmpiraterie) Zum anderen werden die Vermarktungsfristen von Filmen immer kürzer, a) weil immer mehr Filme kommen und b) weil die Filme immer früher, sozusagen solange die Semmel noch warm ist, auf DVD zweitverwertet werden. Die Synchronisierung ins Deutsche findet hierzulande natürlich auch weiterhin statt, deswegen ergibt sich üblicherweise ein Mindestabstand zwischen US- und Deutschlandstart, außer bei ganz großen Filmen, bei denen unter Harry Potter-Drucklegungsmäßigen Sicherheitsvorkehrungen schon vorher synchronisiert wird.

Lange Rede, kurzer Sinn: Heutzutage gibt es pro Film meist eine Pinkie und eine normale PV. Die Pinkies sind nicht mehr für die Hochglanzmagazine geeignet (für diese finden sie neuerdings nämlich viel zu spät statt), sondern hier werden die Langplaner (6 Wochen Vorlauf) geladen and then some. Die Längstplaner (mehr als 6 Wochen Vorlauf) dürfen natürlich auch kommen, können die Filme dann aber meist nur noch in einem Online-Begleitartikel zum Heft verwerten, was übrigens auch den Langplanern in zunehmendem Maße passiert. Die normale PV ist offenbar die Schwemme für alle Kollegen mit geringerem Vorlauf sowie für alle, die aus Sicht der Verleiher wohl nur irgendwie schreiben, und bei denen man die diversen Verbindungen zu mehr oder weniger obskuren Online-Medien, Kleinst-Radio-Syndikaten oder YouTube-TV-Sendern ohnehin nicht mehr nachprüfen kann oder will. Das fühlt sich an wie ein Stigma, wenn man für die eigene Berichterstattung eigentlich die erste PV bräuchte.

Der Sinn ist fraglich, denn wer online berichtet, braucht den Film ja nicht allzu früh sehen. Wer druckt oder sendet, sollte den Film dahingegen früh genug sehen. Doch was heutzutage abgeht, spottet jeder Beschreibung von Zusammenarbeit: Pressevorführungen, die drei Tage vor dem Kinostart stattfinden? (Zum Beispiel Pirates of the Caribbean 3) Wann soll man da noch was veröffentlichen, geschweige denn, erstmal verkaufen? Selbst die Cinema, einst das größte und stolzeste Kinomagazin Europas, kann nur noch drucken, daß „der Film leider vor Redaktionsschluß noch nicht zu sehen war„. Sicher, die Presse kann man außen vor lassen, aber der Ton in den Artikeln spiegelt die Zufriedenheit der Journalisten wieder (siehe auch hier).

Neulich, und dies ist eigentlich erst das zweite Beispiel, erfuhr ich, daß Transformers gezeigt werden sollte. Höflich fragte ich an, warum ich denn keine Einladung erhalten hätte und ob ich der Vorführung dennoch beiwohnen dürfe. Es stellte sich heraus, daß es sich um eine Pinkie handelte, erst bei Vorlage eines konkreten Schreibauftrages würde das ausnahmsweise gehen, hieß es. Das ist schlecht, denn der normale Freie sucht sich die Filme zuerst aus und bietet dann den Text bzw. seine Arbeit bei seinen üblichen Kunden an. Also werden die Freien durch diesen Mechanismus ausgebootet.

Nun habe ich Einladung für die zweite PV bekommen, die immerhin noch ungewöhnliche 16 Tage vor dem D-Start liegt, aber auf Deutsch (urgh) stattfinden wird. Ich werde mich wohl nicht amüsieren können, denn dafür muß das Synchronisieren hierzulande erst neu erlernt werden. Und der Film dürfte prall genug werden, da hilft die deutsche Synchro auch nicht weiter.

Doch wieso darf ich eigentlich nicht selbst entscheiden, in welche PV ich gehe? Solange von Seiten des Verleihs akzeptiert ist, daß ich den Film für meine Arbeit zu sehen habe, sollte es doch nicht in der Hand einer Agentur (eigentlich ja nur ein Organisationsdienstleister und Zwischenhändler) liegen, höchstrichterlich zu gestatten oder zu untersagen, ob ich meinen Job machen darf oder nicht. Und das oft genug mit der Entschuldigung, daß der Verleih das so angeordnet hätte und man selbst machtlos wäre. Das Brot als freier Journalist ist schon hart genug.

Fragen wie diese werden wohl für immer unbeantwortet bleiben. Und wir Feuilletonisten sind wohl zu softe Varianten der Journalisten, um es mit knallharten, determinierten Marketing-Profis aufzunehmen…

Auslöser für diesen Post war übrigens diese Pressemeldung:

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir freuen uns Ihnen mitteilen zu dürfen, dass Michael Bay’s Kinohighlight TRANSFORMERS sensationell erfolgreich in einigen ausgewählten Territorien gestartet ist.

Ingesamt spielte der Film – exklusive Amerika, hier startet der Film erst am 3. Juli – rund 35.0 Millionen Dollar ein.

Hier einige Zahlen:

Südkorea, 549 Kinos, $ 12.4m (dritt-erfolgreichster Start aller Zeiten)
Australien, 240 Kinos, $ 6.7m (erfolgreicher als ’Pearl Harbour‘)
Italien, 541 Kino, $ 3.6m

Desweiteren:

Taiwan, 65 Kinos, $ 3.0m
Philippinen, 269 Kinos, $ 2.1m (acht-erfolgreichster Start überhaupt)
Thailand, 277 Kinos, $ 1.9m
Singapur, 29 Kinos, $ 1.7m (größter Vier-Tagesstart aller Zeiten)
Malaysia, 95 Kinos, $ 1.4m
Neuseeland, 70 Kinos, $ 1.3m
Indonesien, 126 Kinos, $ 565.000

Wieso darf eigentlich in Indonesien, Taiwan oder Singapur jeder Dahergelaufene den Film sehen (und kann ihn bei der Gelegenheit wahrscheinlich sogar abfilmen), ich als ausgewachsener Journalist darf eine offizielle Vorführung hierzulande aber nicht so ohne weiteres besuchen? <– (Kurzversion des obigen Beitrages.)

Nachtrag: Also, wenn selbst Roger Ebert den Film mag, dann hätte ich mich sicher auch amüsiert. (IMDb)

Ein Gedanke zu „Sperrfristen und Pinkies“

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