Vom Umgang mit Flüchtlingen
Gibt es Flüchtlinge zweier Klassen? Die Frage scheint sich Julie Delpy nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine gestellt zu haben, wie es darum ging, auch in Frankreich Flüchtlinge von dort aufzunehmen. Das fand sie krass ungerecht, dass sich in dem Moment offenbar niemand mehr für die Syrer interessiert und sie hat wohl entschieden, zu dem Thema einen Film zu machen.
Das Drehbuch hat Julie Delpy mit Matthieu Rumand und Nicolas Slomka geschrieben. Als Drehort für ihre moralische Lektion hat sie sich Paimpont in der Bretagne ausgesucht. Ein Städtchen mit gerade mal 1′ 778 Einwohnern, Stand 1. Januar 2022 laut Wikipedia. Ein halbes Dutzend Leute da aufzunehmen dürfte kein allzu großes Problem darstellen.
Als Konstrukt hat sich die Filmemacherin einen 5-Akter ausgedacht, die Akte jeweils mit einem klassischen Wandgemälde hinter dem Titel. Die Bilder sind zu kurz zu sehen, als dass man sich genau damit befassen könnte. Eine klassische Dramenstruktur mit einem Happy End ein Jahr nach dem 15. März 2022, der erwarteten Ankunft der ukrainischen Familie.
Am Rathaus flattert eine ukrainische Flagge. Die Protagonisten des Ortes und damit diejenigen des Filmes stehen aufgereiht vor dem Rathaus. Ein Kamerateam dokumentiert die Weltoffenheit von Paimpont. Der Sprinter mit den Gästen kommt an. Beim Empfangskomitee setzt es lange Gesichter: es sind keine Ukrainer, es ist eine syrische Familie.
Über eine syrische Flüchtlingsfamilie hat Ken Loach 2023 eine eindrückliche Sozialröntgenstudie eines englischen Provinzortes bereitgestellt in The Old Oak. July Delpy ist vielleicht nicht so gründlich vorgegangen. Bei ihr spürt man vor allem das Need, dass auch Syrer eine gerechte Behandlung verdienen und dass man die Ukrainer nicht bevorzugen dürfe. Überhaupt ärgert sie der latente Fremdenhass, der immer wieder zum Ausdruck kommt.
Ganz übel ist der Spengler (Laurent Laffite) im Ort, der der Flüchtlingsfamilie das Wasser abstellt. Der originelle Biobauer (Albert Delpy) verscherbelt eine undichte Scheune für einen Euro an die Familie. Und da der syrische Vater (Ziad Bakri) Architekt ist, wird er daraus eine stattliche Familienresidenz machen.
Der Film gibt sein Thema direkt und unumwunden vor, so bleibt vieles im Bereich des Erwartbaren. Er spielt nicht, wie Ken Loach es tut, über Bande, indem er vordergründig bei einem anderen Thema andockt, dem Häuserleerstand im britischen Städtchen. So wirken die Figuren oft lediglich erfunden, um bestimmte Thesen oder Positionen zum Thema zu verkörpern.
July Delpy selbst spielt die Obergute, die sich im Sinne des Guten selbst versündigt und gleichzeitig die Verbindung zu ihrer besten Freundin (Sandrine Kiberlain) aufs Spiel setzt. Der Gag mit der Geburt am Strand (India Hair), nur damit ein wichtiger Pflock für das Happy End am Schluss eingerammt ist, wirkt an den Haaren herbeigezogen; er hätte gründlicher und plausibler vorbereitet werden müssen.