Den Menschen in Oslo zugewandt,
genauer: einigen wenigen Menschen in der norwegischen Hauptstadt, aber so genau hingeschaut, diese so genau aufs Korn genommen in ihren Lebeneinrichtungen, wie sie fühlen, sehen, Vertrauen oder Geheimnisse haben, dass es Menschen auf aller Welt sein könnten.
Gerade das konkret Lokalisierbare schafft hier im dritten Teil der Oslo-Trilogie von Dag Johan Haugerud die universelle Gültigkeit. Dritter Teil: das ist er in Deutschland; eigentlich ist er der einführendeTeil, es ist das Buch, das Buch, das Buch, was hier das Entscheidende ist.
Momentweise wirkt der Film, wie schon seine beiden Vorgänger (original: Nachfolger), wie ein Podcast, wie eine Kollegin nach dem Screening meinte, wie ein Hörspiel also. Es ist mehr. Die Kamera nimmt sogar eine bestimmende Position ein, sei es bei den immer wieder dazwischen geschnittenen Stadtimpressionen von Oslo, sei es in der behutsamen Führung des Zuschauers in kaum unterschnittenen Dialogszenen, wie sie merklich ihr Interesse in der ersten Szene mit den zwei Kaminfegern, die in einem verglasten Eckzimmer sich gegenüber stehen/lehnen mit Oslo-Häusergewusel im Hintergrund, von der Erzählung des einen zur Erzählung des anderen lenkt.
Es ist die Szene, die das Thema des Filmes vorgibt, es sind zwei minimale Dinge, wenn man so will, der eine hatte einen Traum, der andere ein Erlebnis. Und die beiden Dinge sind eingebettet in die jeweilige Lebensumgebung der beiden, jedes Mal sind da Frau und ein oder zwei Kinder.
Die Fokussierung fängt mit den ersten Bildern über die Dächer der norwegischen Stadt an. Überall sind Kaminfeger am Werk. Einer lässt mal einen Feger oder eine Bürste, so genau konnte ich das nicht erkennen, ins Kamin hinunter. Klar, eine interpretierbare Aktion, die schon auf Späteres verweist.
Kurz fällt einem der Film Bird ein; da steht Franz Rogowski als zentrale Symbolfigur wie ein Vogel auf Dächern. Dort geht es um die Schilderung eines britischen Außenseiter-Milieus.
Hier bei Haugerud geht es, das belegen die vedutischen Zwischenbilder, um den städtischen Durchschnittsmenschen von Heute. Die zwei Protagonisten sind Kaminfeger (Jan Gunnar Roise und Thorbjorn Harr), comme-il-faut verheiratet, haben vielleicht vor der Ehe mal andere Hetero-Erlebnisse gehabt.
Zu Filmbeginn ist in beider Leben eine neue Erfahrung getreten. Im vertraulichen Pausen- oder Feierabendgespräch erzählt der eine dem anderen, er habe einen merkwürdigen Traum gehabt, eine Begegnung mit Davo Bowie und der habe ihn angeschaut wie eine Frau – es wird dann noch reflektiert, dass man Träume durch das Erzählen noch mal anders mache -; der andere antwortet mit einem Erlebnis vom Vortag. Wie er nach dem Kaminkehren zum Hausherren gegangen sei, habe dieser ihn gefragt, ob er mit ihm schlafen wolle. Es wird sein erstes homosexuelles Erlebnis gewesen sein. Und er hat es nicht als negativ empfunden.
Dramatik kehrt ein, wie er das seiner Frau erzählt; die kann nur schwer damit umgehen. Der andere hingegen, aktiver Christ, hat seit seinem Traum das Gefühl einer höheren Stimmlage, was für seine Position im Kirchenchor problematisch werden kann.
Der Film schildert wie in einem ausgezeichneten Roman, die Entwicklungen, die diese beiden Erlebnisse in Gang setzen, die Dynamik, beobachtet sie genau, wie die Figuren denken, wie sie fühlen, wie sie reagieren, immer entlang den Themen Vertrauen, Geheimnis, Untreue und was ist Liebe überhaupt, was ist die Differenz zum Sex.
Die Risse im Schornstein, die der eine bei seinem späteren Verführer festgestellt haben will, die stehen auch wunderbar für die Haarrisse, die so kleine Erlebnisse in Beziehungen auslösen können und vielleicht sogar für die winzige Differenz zwischen öffentlichem und privatem Raum, wie er von Hannah Arendt zitiert wird und wie dazu jeder, das meint der Film, sein eigenes Narrativ finden müsse.