Der dritte Bruder

Eine deutsche Familiengeschichte

Die Geschichte der Akademikerfamilie Jahrreiß, Ärzte, Anwälte, Künstler, von den späten 1930ern der letzten Jahrhunderts bis heute.

Dieser Abriss, diese Recherche nach ihrer Familie, ist der Beleg für künstlerische, also filmemacherische, Tätigkeit der heute aktiven Generation, jener von Kathrin Jahrreiß. Sie begibt sich mit ihrem Vater, einem Bühnenbildner, auf Spurensuche. Sie suchen nach einem bestimmten Grab auf dem Dresdner Friedhof. Das Vater-Tochter-Verhältnis ist nicht ohne Spannungen. Sie glaubt zu wissen, wo es ist, wissen tut er es, Hickhack. An Ort und Stelle wird klar, dass das Grab aufgelöst ist, dass der Vater nicht mehr länger dafür zahlen will.

Dieses Vater-Tochter-Verhältnis steht für die Gesamsituation in der Familie, die geprägt ist von der deutschen Geschichte. Die Suche geht zurück zu den Großeltern der Filmemacherin. Hier kommt das zentrale Foto in den Film. Es sind die drei Brüder Jahrreiß aus einer Dresdener Familie, allesamt Akademier.

Einer der drei Brüder ist der Großvater der Filmemacherin. Er ist, wie ein weiterer der Brüder, mit einer Jüdin verheiratet. Die Nazizeit wird die Familien auseinanderreißen. Der eine Bruder emigriert in die USA, der andere bleibt in Dresden. Seine Ehe wird denunziert, die Frau wird abgeholt, ins KZ Auschwitz transportiert und stirbt dort.

Da ist der Vater der Filmemacherin gerade mal zwei Jahre alt. Er hat noch einen älteren Bruder. Die DDR wird auch diese Restfamilie trennen. Der ältere Bruder geht bald in den Westen. Vielleicht erklärt sich so die schier faszinierend scheinende Indifferenz, vielleicht auch Hilflosigkeit, des Vaters der Filmemacherin, diesen Familienangelegenheiten gegenüber.

Beachtlich sind die Unterschiede zwischen den drei Brüdern der Großvatergeneration: der nach Amerika gegangen ist, dessen Frau dadurch die Nazizeit unbeschadet überlebt hat, war der präsidiale Typ, der sogar einmal als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten im Gespräch gewesen sei und für den sich die Stasi über dessen Bruder in Dresden interessiert hätte, weil im Spiegel ein Streitgespräch zwischen ihm und Strauß abgedruckt worden sei. Dieser Bruder habe sich auch sehr um seine beiden Neffen gekümmert. Der andere Großonkel der Filmemacherin hingegen hat stramm als Jurist für die Nazis gearbeitet, ward schnell reingewaschen und als Verteidiger bei den Nürnberger Prozessen tätig. Der Opa dagegen hat offenbar relativ kontinuierlich in Dresden seine Kanzlei betrieben. Das gibt vielleicht auch eine Erklärung für die stoische Ausgeglichenheit, die ihren Vater auszeichnet.

Kathrin Jahrreiß fädelt diese Geschichte und Geschichten mit wunderbarem Sog auf, nie ist Betroffenheitsgetue, nie Fingerzeighaftigkeit, nie Moralismus dabei. Der Film gibt einen spannenden, individualhistorischen Beitrag zur deutschen Geschichte der letzten etwa 80, 90 Jahre mit dem speziellen Fokus auf eine Familie, wenn auch notgedrungen bruchstückhaft, und stellt gleichzeitig die Frage, was denn eine gelungene Familie sei oder sein könnte.

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