Menschen ohne Geheimnis
Wenn Menschen kein Geheimnis mehr haben, so ist das etwas ganz Furchtbares; man möchte direkt formulieren: Menschsein heißt, Geheimnis haben. Das widerspricht auch dem Wunsch der offenen Beziehung, in der man sich alles zu sagen verspricht.
Das erzählt der Film von Frédéric Hambalek in seiner Grundkonstruktion überzeugend. Marielle (Laeni Geiseler) wird von einer Schulkameradin geohrfeigt. Von dem Moment an hat sie die grenzpsychologische Fähigkeit, alles mitzuerleben, was mit ihren Eltern vor sich geht.
Die Familie wohnt in einer schicken Betonvilla, die am Rande eines Dorfes steht. Vater Tobias (Felix Kramer) arbeitet im Verlagswesen. Die Mutter (Julia Jentsch) arbeitet auch etwas.
Der Film ist dabei, wie die Mutter in einer Arbeitspause mit dem Kollegen Max (Flix Kramer) in einem leeren Zimmer eine Zigarette raucht, und wie der ungeniert davon redet, was sie jetzt in diesem Zimmer an Erotischem tun könnten.
Der Film ist bei der Arbeit des Vaters dabei. Dort geht es um das Cover für ein Buch mit einem Vogel ohne Kopf. Mitarbeiter Sören (Moritz von Treuenfels) kritisiert den Vorschlag. Tobias geht darauf ein.
Zuhause lügen sich die Elternteile was vor. Marielle kennt aber die Szenen, als ob sie selber dabei gewesen wäre. Die erste Reaktion ist Ungläubigkeit. Ist auch schwer zu fassen, so eine Eigenschaft, sich klarzumachen, dass man nichts mehr verbergen kann vor der Familie.
Nachdem der Fakt akzeptiert ist, fangen die Beteiligten an, sich in vorauseilendem Gehorsam so zu verhalten, dass ihnen nichts mehr vorzuwerfen ist. Bis hierher hat Hambalek eine feines deutsches Pinzettenkino abgeliefert, das an die Berliner Schule erinnert, dieses nüchterne Beobachten menschlicher Vorgänge.
Die Musik ist vielleicht nicht ganz so schlüssig, auf die hätte wahrscheinlich sogar teilweise verzichtet werden können.
Allerdings scheint nach der Analyse und den ersten Verhaltensänderungen das dramaturgische Movens des Konstruktes wie erstarrt. Es führt zwar noch zu weiteren Verhaltensänderungen; aber es entwickelt sich nichts Neues, es geht nichts mehr vorwärts, bis sich der Film nach dem Deus-ex-machina-Prinzip eine Lösung einfallen lässt.