Biopic einer akademischen Karriere
und Napoliamore-(Bashing)
2023 war bei uns zu sehen Nostalgia, ein Neapelfilm des Napolitaners Mario Mortone. Damals wurde festgestellt, dass ein anderer Neapolitaner, nämlich Paolo Sorrentin, zwar schon einen Romfilm (La Grande Bellezza), aber noch keinen Neapelfilm gemacht hat. Hier kommt er.
1950 wird Protagonistin Parthenope geboren. In einem prunkvollen Anwesen, das dem Commandante gehört, einem reichen Geschäftsmann, was immer das in Neapel bedeuten mag, der es sich leisten kann, eine Prunkkutsche aus Versailles an seinen Wohnsitz zu verschiffen. Dessen Veranden sind mit römischen Büsten geschmückt. Der Blick auf das Meer ist umwerfend, die Stadt und der Pöbel auf Distanz.
Der Film macht einen Sprung auf 1968. Jetzt wird Parthenope dargestellt von der wunderschönen Celeste Dalla Porta. Der Film ergeht sich zu diesem Zeitpunkt aus der Sicht alter Lüstlinge auf das Leben; reflektiert die Erinnerung an die Jugenderotik, zelebriert diese nebst der Dekadenz der reichen Neapolitaner (auch mit dem Mittel der Zeitlupe).
Was den Film weniger zu interessieren scheint, sind biographisch informative Details, wie, wer genau der Vater von Parthenope ist oder die Mutter, wann genau ihr Bruder Raimund zur Welt gekommen ist.
Immerhin erfährt man, dass die Protagonistin sich für Anthropologie interessiert und diese auch studieren möchte. Daraus entsteht der Storystrang mit Prof. Marotta (Silvio Orlando), der anders verläuft und tiefer geht, als die sich am Anfang vermuten lassende, mögliche MeToo-Geschichte. Vielleicht auch einen Hinweis auf die Frage gibt, was Anthropologie eigentlich sei. Denn der Professor hat ein Geheimnis.
Vorher berührt eine Dreiecksgeschichte. Parthenope und ihr Bruder sind in den gleichen Mann verliebt. Sie verbringen ein Wochenende auf Capri. Das sei nicht standesgemäß, meint der Commandante. Offenbar haben sie auch kein Geld. Sie schleichen sich in die schicke, mondäne, dortige Gesellschaft ein.
Die 3er-Geschichte endet tragisch und wird als dunkler Akkord über dem weiteren Leben von Parthenope lasten, bis in die späten Jahre, wie sie von Stefanie Sandrelli dargestellt wird.
Dazwischen gibt es Ausflüge der eher perversen Art in die napolitanische Clanwelt mit wortwörtlichen Fusion von zwei Familien und selbstverständlich – im Zuge anthropologischer Recherchen – in die moralische dekadente Welt der katholischen Kirche und ihrem Wunder-Hokuspokus.
Einen inhaltlichen Orientierungspunkt bringt der Film mit der Nennung von John Cheever und seinem Werk. Er selbst taucht auch in Neapel auf, dargestellt wird er von Gary Oldman.
Ein Gang durch Neapels Armutsviertel gehört zu einer solch bildgewaltigen Hommage an die Stadt am Vesuv. Und sie ist nicht nur bildgewaltig und kinomeisterlich, sie zeichnet Menschen in ihren Schattierungen, in ihren Liebessehnsüchten, in ihrem Verlangen, mit den konkreten Grenzen des ersehnten Wunders, darin, dass dem Verlangen Mystisches innewohne, während Sex es zu Grabe trage. Parthenope ist eine Symboligur, die für die ganze Stadt steht, die in den Gründungsmythen vorkommt, sie ist eine der berühmten antiken Sirenen. Es ist ein Film, der in seiner Differenziertheit und eine Lebensgeschichte umfassenden Tiefe weit über den Anschwall an neuen Filmen im Kino herausragt.