Talentprobe oder die deutsche Sehnsucht nach dem Genre
Der Film von Ekrem Engizek scheint eine gelungene Talentprobe in emotional-lustvoller Schilderung des Mänerknastes als eines Vorhofes der Hölle.
Monster würden nicht geboren, sondern gemacht und jeder Täter sei einmal ein Opfer gewesen. Damit tut der Film seine Absicht kund, mit der krassen Knastschilderung zu einer besseren Welt beitragen zu wollen, zu einer Welt mit mehr Verständnis für Menschen, die Fehler machen, die Verbrechen begehen.
Der Film spielt fast ausschließlich in einem Knast in Berlin, altes Mauergebäude, abgefuckt wie irgendwas. Nichts lässt der Film aus, was den Knast nicht als einen Ort des Ekels und der Ungemütlichkeit, der Unhygiene und des Ungezieferbefalls schildern könnte. Es sind Verhältnisse wie im Kerker, in dem der Graf von Monte Christo noch vor seiner Grafwerdung landet.
Die mitproduzierende Castingabteilung von Emre Ertem hat aufgefahren, was es an Knastgesichtern, an verbrecherischen Männervisagen in Deutschland aufzutreiben gibt.
Ein feines, deutsches Söhnchen, Alexander Rothstein (Constantin von Jascheroff), ist die Figur, deren Weg das Drehbuch verfolgt. Es beginnt mit seinem Eintritt ins Gefängnis. Er sei Untersuchungsgefangener. Und hier fängt die Diskrepanz zu realen Gefängnissen in der Bundesrepublik an. Kaum vorstellbar, dass ein Untersuchungsgefangener in so ein Loch von Knast gesteckt wird, in so eine verkommene Lokalität.
Alex wird von seinen Verliesgenossen der Blonde genannt. Das sind der Russe Viktor (Amir Israil Aschenberg) und der Palästinenser Khalil (Kais Setti); dieser ist derjenige mit der extremsten Verbrechervisage, mit dem kaputten Gebiss, ein Showman dazu. Aber auch von Viktor wird später ein anrührend-trauriges Schicksal zu erfahren sein.
Das scheint Alexander nicht zu haben. Er hat Hasch in Kilomengen vertickt. Der Darsteller nutzt die Rolle, um eine breite Palette an Emotionen bis hin zum jammernden Elend zu zeigen und auch die Differenz zwischen behaartem und später kahlgeschorenem Kopf.
Beim Hofgang freundet Alexander sich zu allererst mit einem anderen Deutschen an. Es ist Manfred (Michael Lott). Der scheint ein netter Mensch und vertrauenswürdig.
Das was in Jacques Audiards Un Prophète die Titelfigur war, also der im Knast den Ton angebende und beste Beziehung nach draußen pflegende Gangsterboss, der heißt hier Mazlum (Cem Öztabakci). Auch die werden ins Geschäft kommen.
Der Film lässt nichts aus an Dreckigkeit der Ausstattung, Bestechlichkeit des Personals kommt hinzu, er dröhnt so richtig auf der Tonspur und überlässt sie immer wieder Raps.
Es gibt das Meloelement mit der draußen lebenden, schwangeren Frau von Alex, Julia (Xenia Assenza), und auch seine Mutter (Anna Stieblich) hat einen Besucherauftritt.
Der Film versucht die Knastis als fühlende Menschen darzustellen, ohne auf die Klischees zu verzichten. Er schwelgt im Ausmalen dieses hermetischen Biotopes, wo Männer sich erst mal nackt ausziehen müssen und am Anfang mit Anstaltskleidung Vorlieb zu nehmen haben.
Es gibt jede Menge Details aus dem Knastalltag, die realistisch erscheinen, wie sie ein Schneidegerät herstellen, wie sie sich ein Handy verschaffen, eine neue SIM-Karte, wie sie Strom anzapfen, um ein Handy aufzuladen, wie sie sich eine Mishaba basteln.
Kürzlich kam der Die Wärterin ins Kino. Der war vielleicht näher an der Knastrealität, aber dafür auch nicht so schillernd.