Brasilianitá
Copa Cabana, Rio, Sonne, Strand, Jugend, elastische, schöne Körper, Erotik in der Luft, Wärme, so stellen wir uns Brasilien vor. Dazu große Familien, die in einem eigenen Haus wohnen, eine Bedienstete haben.
Genau so zeichnet Walter Salles (Unterwegs – On the Road) das brasilianische Leben in seinem Film nach dem Drehbuch von Murilo Hauser und Heitor Lorega nach der Biographie von Marcelo Rubens Paiva: Papa Rubens (Selton Mello), Mama Eunice (Fernanda Torres) und viele, viele Kinder.
Der Papa ist im intellektuellen Milieu tätig. Grad kommen die Kids vom Strand, sie haben einen struppigen Hund aufgelesen und erbetteln vom Papa die Erlaubnis, das Tier in der Familie aufzunehmen. Papa kann nicht ablehnen.
Das ist die eine Seite der Brasilianitá. Aber es gibt das düstere Kapitel der Militärdiktaur. Es ist 1970. In den Nachrichten nimmt die Entführung des Schweizer Botschafters Giovanni Bucher breiten Raum ein. Er wird gegen 70 politische Gefangene freigepresst. Das Leben in der Familie Paiva scheint unbesorgt.
In der Art einer Telenovela schildert Salles Episoden aus diesem bald elementar verletzten Familienleben. Ab und an hat der Vater diskrete Telefonate, ab und an werden an der Tür Briefumschläge ausgehändigt. In dieses sorglose Leben hinein klingeln nicht besonders sympathisch aussehende Männer. Sie wollen Vater zu einer Befragung mitnehmen. Er fährt mit dem eigenen, schicken, roten Auto. Er würde bald zurück sein.
Später werden auch Eunice und eine Tochter abgeholt. Eine andere ist zu einem Auslandaufenthalt nach England abgereist. Ein Schock für die Familie und auch für den Zuschauer, wie diese Personen mitten aus einem zivilen Leben heraus im Militärgefängnis landen. Folter wird nicht direkt gezeigt, aber angedeutet.
Man fragt sich als Zuschauer über die Sinnigkeit solcher Methoden. Was bringt es, aus einem Menschen Geständnisse herauszupressen, die womöglich gar keine sind? Salles schildert Verhaftung, Verhör und auch wieder Freilassung der Frauen so, dass sich einem diese Fragen aufdrängen. Wie kann es sein, dass solche Regimes sich überhaupt etablieren und was versprechen sie sich von diesen verletzenden, demütigenden Methoden und davon, dass sie Menschen einfach verschwinden lassen?
Das wird im weiteren Verlauf des Filmes eine der Fragen sein, was ist mit Rubens passiert, wo ist er, lebt er überhaupt noch und wie geht die Familie damit um? Es geht hier nicht um einen einmaligen Fall, es gibt Hunderte davon. Der Film ist ein Puzzleteil zur Aufarbeitung dieses grauenhaften Kapitels der brasilianischen Geschichte.