Dunkle Vergangenheiten
Eine lange Fahrt des Protagonisten Jérémie (Félix Kysyl) durch hügelig-herbstliche Gegend zeigt, wie abgelegen der Ort der Handlung dieses Filmes von Alain Guiraudie ist. Einige Häuser. Es gab mal eine Bäckerei. Längst vorbei. Jetzt holen die Leute das Brot im Supermarkt oder in der Nachbarortschaft. Es gibt eine Beerdigung. Welchen Bezug Jérémie zum Verstorbenen gehabt hat, wird vorerst nicht erklärt.
Klar ist, dass er mit dem Auto aus Toulouse zur Beerdigung gekommen ist. Und klar ist, dass er hier mal gelebt hat, dass ihn mit verschiedenen Menschen gemeinsame Geschichten verbinden. Er selbst hat sich gerade von seiner Freundin getrennt, ist Bäcker, arbeitet in Toulouse in einer Großbäckerei. Aber er hat in dem Ort gelebt.
Jérémie siezt Martine (Catherine Frot), die Inhaberin der still gelegten Bäckerei. Sie lebt mit ihrem Sohn Vincent (Jean-Baptiste Durand) in einem Haus. Der ist offenbar verheiratet, hat selbst einen Sohn. Nach der Beerdigung und nach reichlichem Alkoholgenuss bleibt Jérémy doch über Nacht. Er kann im Jugendzimmer von Vincent übernachten. Die kennen sich gut. Sie sind auch beide befreundet mit Walter (David Ayla), einem aus der Form geratenen Junggesellen, der allein wohnt.
Dann ist da noch der Pfarrer (Jacques Develay), der die Abdankungsrede hält und unvermittelt im Wald auf Jérémy und Vincent trifft. Der Pfarrer hat Steinpilze gesucht. Das ist ein durchgängiges Motiv, die Steinpilzsuche.
Aber im Wald sind Menschen auch sich ausgesetzt. Zwischen Vincent und Jérémie kommt es nach wenigen Worten zu Rangeleien. Es ist die Rede von früher, von Eifersucht auf Walter. Jérémie besucht auch Walter. Der will nicht, dass Vincent das mitbekommt. Es scheint um Gefühle zwischen den Männern zu gehen. Vieles wird angedeutet.
Vincent ist jedenfalls nicht angetan, dass Jérémie seinen Aufenthalt in dem Weiler verlängert und verlängert. Es bauen sich Konflikte auf, die in einsamer Gegend wundervoll oder auch mit Gewalt ohne Zeugen ausgetragen werden können.
Der Film wird nach und nach die Beziehungen aufblättern und miteinander konfrontieren, was sich keinesfalls im Dialogischen erschöpft.
Der Film zeigt Menschen in ihrer Vereinzelung und in der Unfähigkeit, diese zu durchbrechen, zeigt die Menschen in ihrer Sehnsucht darnach.
Vielleicht ist die Dorflocation auch vor allem darum gewählt, weil hier wenige Menschen sind, die ganz genau in ihrer Beziehung zueinander und gleichzeitig in ihrer Vereinzelung betrachtet werden können.
Die Liebe nicht aushalten und Lieblosigkeit genau so wenig. Irgendwann kommt der rätselhafte Satz von der Notwendigkeit von Morden vor – und irgendwie kann man ihn verstehen.