Russland ist durchgeknallt,
und zwar nicht erst sei dem 24. Februar 2022, dem Überfall auf die Ukraine, schon vorher, so erscheint es im Film von Anja Kreis, der noch vorher spielt. Aber war das nicht immer schon so, zu sehen bei Tschechow oder Dostojewski?
In manchen Momenten kommt man sich vor, wie in einer Komödie von Tschechow; eine von ihm heißt Drei Schwestern. Hier im Film geht es um zwei gegensätzliche Schwestern. Das Problem fängt schon mit der Mutter an – oder mit einem Gemälde, das die Geschichte vom Kindermord in Bethlehem zeigt. Der ist hochpolitisch. Aber hier im Film sieht es mehr so aus, als sei die Mutter schuld am Unglück der Welt.
Ein Film mit stark philosophischem Input, nicht nur, was die Mutter- und Kindermordgeschichte betrifft, auch die Welterklärung, die Gottesfrage, Nietzsche; die These, dass erst der Tod Gottes die Menschen möglich gemacht habe; Gott sei sozusagen ein Hindernis für den Menschen gewesen. Die sich damit beschäftigt, ist Vavra, die an einer Schule in der Provinz lehrt.
Zu Vavra flüchtet ihre Schwester Angela aus Moskau, eine hochangesehene Ärztin mit dem Spezialgebiet der Abtreibung. Damit kommt auch dieser Themenstrang in den Film. Schule und Klinik. Und vor allem, die dortigen Lebensmilieus. Bis in den letzten Winkel hinein reicht die Korruption oder die Verführung dazu.
Der Bürgermeister kennt keine Hemmung, in der Klinik aufzutauchen, weil sein unmündiges Töchterchen eine ungewollte Schwangerschaft hat. Er rechnet mit einem Bürgermeisterbonus. Der mischt sich auch in die Bewertungen der Schule ein. Soll Inosemtev nicht bestehen, bloß weil er den Gottestod nicht wahrhaben will?
Bestes Tschechow-Theater, wenn solche Herrschaften aufeinandertreffen, sich begrüßen, sich scheinheilig nach dem werten Befinden erkundigen und sich ihrer gegenseitigen Verehrung versichern; zu diesen Honoratioren gehört selbstverständlich auch ein Pfarrer, auch der ist mehr als nur zwielichtig.
Ein schmieriger Notar spielt mit. Angela hat ihre Gründe, aus Moskau wegzugehen und bei ihrer Schwester Zuflucht zu suchen, auch wenn das Krankenhaus sich nicht genug rühmen kann, so eine Kapazität bei sich zu haben.
Ein Thema sind die häufigen Abtreibungen, aber auch über Sterilisation wird gesprochen. Auch hier macht sich der Nachwuchs, Assistentin Lenchen, bemerkbar. Ein Film, der bissig mit Philosophen- und Sezierinstrumenten die russische Gesellschaft auseinandernimmt und als katastrophal darstellt. Dass für sie offenbar ein Krieg, wie der Überfall auf die Ukraine die einzige Lösung scheint; so kann es sich der Zuschauer allenfalls hochrechnen.