Shikun

Sich zum Nashorn machen
oder
vom Irrsinn der israelischen Gesellschaft

Diesen Film hat Amos Gitai, der mit Marie-Jose Sanselme und Rivka Gitai auch das Drehbuch inspieriert von Die Nashörner von Eugene Ionesco verfasst hat, noch vor dem Irrsinn der Terroranschläge vom 7. Oktober 2023 und des seither anhaltenden Irrsinns der israelischen Vergeltung in Gaza gedreht, die einem Vernichtungskrieg gleich kommt.

Solcher Irrsinn baut nicht auf Nichts. Der Irrsinn des Zweiten Weltkrieges, des Faschismus, des Holocaust bewog Ionesco 1957, das Stück Die Nashörner zu schreiben, was in Bezug auf Absurdität seither nichts an Gültigkeit verloren hat.

Es geht um den Irrsinn des Mitläufertums und der Verdrängung desselben. Amos Gitai siedelt seinen Film in einem Sozialwohnblock in Be‘ er-Sheva an mit Blick auf die Mauer. Es ist ein Block in der schauderlichsten Architektur brut.

Die Eingangstüren zu den Wohnungen sind über lange Balkone erreichbar. Unterirdisch gibt es ein Labyrinth an Kellergängen und einen Busbahnhof.

Eine Lehrerin (vermutlich Yel Abecassis) unterrichtet hier wohnende Einwanderer in Hebräisch. Sie kommen aus Russland, Indien, ein Vielvölkergemisch mit wenig gemeinsamer Kultur. Es wohnen auch Arabisch sprechende Familien hier.

Bauherren diskutieren in den Gängen über Neubauten, ein wichtiges Thema dabei ist, dass eine Synagoge dabei sei und das Verkaufsargument der Sicht aufs Meer, was aber eine Sicht auf Jerusalem sei.

Eingeführt wird der Film von der Erzählerin, das muss Irène Jacob sein, die auf Französisch gleich das moralische Hauptthema vorgibt, ob und wie man sich in Geschehnisse involvieren lassen solle, besonders wenn sie vor der eigenen Haustür sich abspielen. Sie wird auch das Nashorn entdecken, das durch die Straßen läuft.

Immer mehr Menschen mutieren offenbar zu Nashörnern. In einer Schreinerwerkstatt werden konkret die Hörner angefertigt, die mit einem Tuch um den Kopf gebunden werden können.

Das ist das zentrale Thema des Filmes, sich anpassen oder Widerstand leisten, mutieren und mitlaufen oder nicht.

In einem Antiquariat wird der Holocaust literarisch evoziert anhand eines Kinderbuches mit Erzählungen von Kindern, die in Theresienstadt waren und von einer Welt ohne Schmetterlinge berichten.

Hinter den Nashorngeschichten schwebt das Unfassbare geschichtlicher Entwicklungen, die den Rahmen des Humanitären verlassen, die zu übelsten Verbrechen sich auswachsen. Solche Entwicklungen zu beobachten kann auch die Erzählerin an den Rand des Wahnsinns führen. Immer wieder fährt sie auf ihrem Elektroroller durch die endlos langen Korridore.

Was ist schon normal? Was ist die Verantwortung des Einzelnen, des Soldaten, oder was ist Verrücktheit? Auch in der Realisierung durch Amos Gitai hat Ionesco nichts von seinem geistanregenden Input verloren, denn der politische Irrsinn auf der Welt ist nicht weniger geworden, erst recht nicht seit dem Ukraine-Überfall und den Terroranschlägen vom 7. Oktober 23.

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