Polizeiruf 110: Jenseits des Rechts (ARD, Sonntag, 29. Dezember 2024, 20.15 Uhr)

Sex sells,

das weiß nicht nur Anora-Regisseur Sean Baker, das wissen alte weiße (und intellektuelle) Männer wie Regisseur Domink Graf und Drehbuchautor Tobias Kniebe und die öffentlich-rechtlichen Redakteure Claudia Simionescu und Tobias Schultze nicken das mit glänzenden Äuglein ab; sie suhlen sich ungeniert mit öffentlich-rechtlichem Rundfunkgeld im prickelnd-anrüchigen Milieu einer jungen Sado-Maso-Liebe, die in einem romantischen Wohnwagen Sexfilmchen fürs Internet dreht. Und können nicht oft genug solche Sexseiten ins Bild scrollen. Wie zufällig gibt es in diesem Kontext auch bildsüffige Parties mit jungen Girlies. Auch das sells.

Alte weiße Männer scheinen auf Frauen zu stehen, die alle einen Tick zu exaltiert auftreten. Vielleicht fällt das besonders auf, weil Kommissarin Johanna Wokalek so wohltuend natürlich spielt. Das sollte die Casting-Abteilung künftig vielleicht berücksichtigen.

Gediegen-geschmackvoll-kinohaft ist der Anfang; ein vertrauliches Gespräch zwischen einer jungen Frau (Emma Preisendanz) und einem sehr knapp sprechenden, zuhörenden älteren Mann (Michael Roll, den Edelshrink, wie er später charakterisiert wird, würde man ihm nie geben und antrainierte, knappe Sprechweise macht noch keinen Psychiater) über eine Beziehung zu einem Lucky (Florian Geißelmann), die nicht nach jedermanns Gusto zu sein scheint.

Nach knapp 5 Minuten gibt es die bildliche Erklärung zu diesem Anderssein und das immer krassere Urteil der Welt dazu: Fesselspiele mit einem jungen Mann mit BH. Wie geil.

Ein Sprung um drei Tage. Eine Szene um das Vögelchen-Motiv. Auf einer Brücke beißt ein Köter einen kleinen Vogel blutig. Die Erzählerin von vorher verscheucht den Hund, kurz nachdem sie an den beiden Kommissaren vorbeigestreift ist, die im Sperrmüll einen Tisch suchen. Und schon fliegt die typische-TV-Frage durch den Raum „Ist was passiert“. Ja, es ist was passiert, meint der Krimi, denn er schneidet wieder um auf den Altmöbelplatz und lässt diesen mit Sirenengehupe im Hintergrund polizeilich absperren. Ab hier verschneidet er die kriminologische Untersuchung mit der Aufklärung der Tat und einem Gerangel der schon kurz angeschnittenen Sado-Maso-Szene in einem Wohnwagen.

Diffus bleibt die juristische Zwickmühle, in die eine Spurenuntersucherin (Jule Gartzke) kommt, die eine Verwandtschaft zwischen zwei DNAs feststellt und die diese Erkenntnis offenbar nicht an die untersuchenden Behörden weitergeben darf. Insofern wird auch nicht klar, ob dieser öffentlich-rechtliche Krimi auf ein Problem in der Gesetzgebung hinweisen will, ein Problem, was sozusagen offiziell gegen die Gerechtigkeit der Strafverfolgung gerichtet ist. Der Film lässt hier eine genaue Beschreibung der Sachlage vermissen. Frau Ambacher vertritt dieses Problem.

Eine beim Kindertheater oder mit Schränken auch beim Bauerntheater garantiert funktionierende Phase des Filmes ist das Versteckspiel der Kommissarin bei der Mädelsparty in der Villa des Blutgold-CEOs (Martin Rapold). Sophisticated dabei ist das Spiel, wie sie heimlich das Treppenhaus erklimmt, die Partyjugend ist längst stoned, nur zwei Jungs in auslandenden Sesseln glauben, sie durch Farbfilter zu sehen und diskutieren, ob das wirklich jemand ist oder eine Erscheinung. Das ist fein gemacht, dieses kleine Impromptu über Wahrnehmung. Das erinnert ein wenig an das Kippfenster bei Tati in Playtime, bei dem der Sound der Busgesellschaft, die damit bildlich in die Höhe gehoben wird, das entsprechend entzückte Aha formt. Heimlichkeiten auch wie im Groschenroman oder wie bei Thomas Willmanns Eisernem Marquis, wenn der Protagonist sich verliebt in das Landhaus seiner Angebeteten bei Wien schleicht.

Das Moralin darf öffentlich-rechtlich nicht vergessen werden: der Utrierkommissar (Stephan Zinner) muss beim Durchblättern von Schund den Kommentar „geiler Dreckhengst“ auf die Tonspur baffen.

Im Zusammentreffen mit Herrn Horschalek und dessen Kampfunfähigmachung im eigenen Haus muss man direkt an Götz George selig denken, wie der Polizeiarbeit verstanden hat.

Die Untersuchung der gewaltsam entnommenen DNA-Probe wirkt wie Zeitschinderei oder wie überflüssige, künstliche Erzeugung von Spannung. Das Resultat als kleine Mitteilung in den Krimi zu bringen, hätte vollkommen genügt, diese Untersuchung in solcher Ausführlichkeit zu zeigen, bringt nichts. Wir sind ja hier nicht in einem Labor-Schulungsfilm.

Die parallel dazu stattfindende Auseinandersetzung zwischen Kommissarin und mutmaßlichem Täter ist ebenso wenig erhellend, performativ wenig ergiebig. So wenig wie das Aufsuchen von Mia im Wohnwagen durch den Edelshrink „Was machst du da?“. Das ist nicht plausibel, dass er sie dort aufsucht, noch dass er ihren Freund kleinen Wichser nennt.

Andererseits verständlich, diese Verzögerungen, sie sind erforderlich, um das Tohuwabohu der Twists um die Täterschaft (und gleich auch noch der Vaterschaft) 10 Minuten vor Schluss nochmal aufzuschnüren und Zeit mit Fehlspuren zu füllen.

Allerdings ist die CEO-Figur auch nicht recht plausibel geschrieben. Wie überhaupt die zwei alten weißen Männer in diesem Tatort bemerkenswert wenig schlüssig gedacht und besetzt sind. Wenn die Macher sich wenigstens an Glatzköpfe getraut hätten. Wenig Selbstreflexion von Macherseite, also von den zwei alten weißen, intellektuellen Männern, zu just ihrer eigenen Gattung, die doch versucht, in unserer Gesellschaft so mächtig aufzutreten, so eminent wichtig zu sein und die dafür ja auch entsprechend honoriert werden. Erstaunliche Unschärfen bei diesen Figuren. Mit dem öffentlich-rechtlichen Spiegel- und Selbstbild alter weißer Männer jedenfalls scheint es zu hapern in dieser unserer heilen, und doch so süßen, softsexy Fernsehwelt. Alte weiße Männer als blinder Fleck in der Wahrnehmung alter weißer Männer.

Mitproduziert von Provobis.

Politisch gefällig ist es, die Goldfirma rot mit dem Text Blutgold zu beschmieren, aber wer weiß, wer von den gut mit öffentlichen Zwangsgebühren entlöhnten Beteiligten an diesem Film selber in Gold investiert hat, so suggeriert es das Drehbuch mit einem Kommentar des Kokommissars. Das Thema der Rufmordkampagne kommt klischeehaft daher.

Der Plot an sich kommt einem doch recht aus bekannten Versatzstücken zusammengeschustert vor, Sex and Crime, Internet und Sex, Thema Kapitalismus, Gold (oder Diamanten) und Blut, CEO und Angst um den Ruf, dann noch das Thema der Vaterschaft. Statt halt wirklich mal eine moderne Figur gründlich unter die Lupe zu nehmen, ihre Handlungsmaximen, ihre Orientierung, ihre Needs.

So muss in 90 Minuten eine brauchbare Handlung hergezaubert werden, die näherer Betrachtung nicht standhalten kann.

Wenn das Thema Vaterschaft eine Rolle spielt, dann sollte die Beziehung auch plausibel gemacht werden. Hier scheint es mehr ums Image zu gehen, und also eh wurst, wer der Erzeuger ist. Die Plot-Versatzstücke bleiben in groben Klischees hängen. Auch wie die heutigen Reichen gezeichnet werden genau so wie die Wohnwagenidylle. Das ist immer die Gefahr beim Polizeiruf oder beim Tatort, dass er überladen wird vor lauter politischer Korrektheit, weil all dies hineingepackt werden soll und letztlich nur anskizziert bleiben kann. So bleibt Plausibilität auf der Strecke, das Interesse schwächelt, immer aber ist Verlass auf den guten Geschmack von Dominik Graf.

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