Die Saat des heiligen Feigenbaums

Der Todesurteilforderer und seine drei Lügnerinnen

Im Anspann dieses neuen Filmes des iranischen Regisseurs Mohammad Rasoulof (Doch das Böse gibt es nicht) findet sich eine Erklärung zum Heiligen Feigenbaum. Der ist eine Schmarotzerpflanze. Die Samen werden mit Vogelkot auf Gastbäumen ausgeschieden, entwickeln von den Ästen aus Wurzeln, ersticken irgendwann ihren Wirtsbaum und stehen dann selbständig da.

Das Bild kann wohl doppelt gelesen werden: einerseits ist die iranische Führung und Geistlichkeit so eine Schmarotzerpflanze, die sich fett auf den Iran hockt, oder in der humoristischen Variante – und die wird der Film am Ende suggerieren – hockt sich der Filmemacher auf das Regime der Geistlichkeit, lässt es ersticken und macht daraus einen überraschenden Film.

Stickigkeit und Ersticken dominieren das Gros dieses fast dreistündigen Filmes. Man bekommt schon Zweifel am Kino und dessen doch gern gesehener Befreiungsfunktion. Nein, es herrscht Stickigkeit in diesem illegal und underground gedrehten Film.

Innenaufnahmen in abgeschotteten Räumen dominieren. Die Protagonistenfamilie wohnt in einer zu engen Wohnung. Vater Iman (Missagh Zareh), der seiner Familie nie erzählt hat, was er eigentlich tut als Broterwerb, hat im Staatsapparat eine Beförderung erhalten.

Im Auftrag und auf Befehl (was nicht rechtens ist), muss er dem Gericht die Vorschläge für Todesurteile unterbreiten. Es ist die Zeit der Demonstrationen; diese bringen Guerillafootage in den Film.

Und es ist eine Zeit massenhafter Todesurteile. Die Lage ist gespannt zwischen Iman, seiner Frau Najmeh (Soheila Golestani) und seinen beiden späten Teens von Töchtern Rezvan (Mahsa Rostami) und Sana (Setareh Maleki). Die Aussicht auf eine größere Wohnung ist gegeben. Vor allem muss die Familie dicht halten, was den Job des Vaters betrifft. Er erhält jetzt auch eine Pistole zu seinem Schutz, um die ein großes Geheimnis gemacht wird.

Verkomplizierend kommt hinzu, dass eine Freundin einer der Töchter bei einer Demo verletzt wird und nicht nur das, sie wird auch noch verhaftet. Ohne interne Intervention dürfte ihr der Tod sicher sein.

Die Lage der Familie spitzt sich aus zwei Gründen zu: die Pistole vom Vater verschwindet. Über sie wusste nur die Gattin Bescheid. Und Name, Adresse, Telefonnummern von Iman werden im Internet geleakt.

Die Kacke ist am Dampfen; Verfolgungswahn schleicht sich ein in die Familie. Allein wegen dem Verlust der Pistole befürchtet Iman, 20 Jahre Aufbauarbeit an seiner Karriere verlustig zu gehen.

Die Stickigkeit in Iran, in der Wohnung und im Film steigern sich ins Unerträgliche.

Jetzt fällt dem Regisseur etwas ein, was an New Hollywood erinnert. Er verlegt den Drehort samt Protagonistenfamilie in eine weit von Teheran entfernte Wüstenei, wo die Familie noch über eine Unterkunft verfügt.

Und wehe, wenn die filmischen Fesseln losgelassen, jetzt wird zum Countdown ein Film, den man als New-Hollywood-Thriller und Revenge-Movie bezeichnen könnte unter dem Titel: “Der Todesurteilforderer und seine drei Lügnerinnen“.

Die Ehre des iranischen Kinos ist somit gerettet, es hat sich aus der dem Regime geschuldeten Stickigkeit befreit. So wie auch der Regisseur kurz vor der Preisverleihung in Cannes abenteuerlich aus seiner Heimat fliehen konnte.

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