Ein Gefühl zu beschreiben versuchen
oder Gefühlsdusselei
Nora Fingscheidt hat mit ihrem Film Systemsprenger sich schon mit einem Menschen befasst, dessen Gefühlswelt nicht in Deckung zu bringen ist mit der offiziellen Gefühlswelt der Gesellschaft, mit der 9-jährigen Benni. Mit einem Menschen also, der aneckt.
Jetzt hat sich die Regisseurin, die mit Amy Liptrot und Daisy Lewis auch das Drehbuch geschrieben hat, eine etwas ältere Person vorgenommen: Rona (Saoirse Ronan). Sie ist schon weit im Studium, ist aber eine fahrige Person; sie ist 29 und arbeitslos. Sie kommt von einem Hof des schottischen Archipels Orkney.In London lernt sie Jubel, Trubel und den Alkohol kennen. Sie führt mit blau gefärbtem Haar ein ausschweifendes Leben; so zügellos und zugedröhnt, dass ihr Freund Aynin (Paapa Essiedu) sie verlässt.
Diese gefühlsmäßige Irritation ihrer Protagonistin spiegelt die Regisseurin in einer extrem fahrigen Erzählweise, in gänzlich unvorbereiteten Schnitten und unter Verzicht auf justiziable Info.
Einmal kommt eine dieser wunderschönen schottischen Inseln und unten am Bildrand erscheinen Zahlen von Tagen, bis 117. Der Zuschauer wird erst im Unklaren gelassen, was das soll. Später ergibt sich, dass es sich um die Tage des Entzuges handelt.
Den Film interessiert nicht die Chronologie, interessiert nicht die Messbarkeit des Heilungserfolges, interessiert nicht der Versuch der Reintegration, die Fortschritte im Entzug. Er hupft hin und her in Erinnerungen, in der Einsamkeit, im Sein der Hauptfigur bei ihrem Vater und Mutter, die Schaffarmer sind.
Der Film ergeht sich in Träumereien seiner Hauptfigur, in wunderbaren Naturaufnahmen, wo die Protagonistin glaubt, die Natur dirigieren zu können. Oder wie sich ihr Interesse dem Seetang zuneigt, ihre Philosophie über Seehunde, die dort vor der Küste heulen.
Seelenwanderungsgeschichten, was ist mit den Toten, sind die Seehunde, die sich nachts nochmal auf die Welt trauen? Es ist ein Träumerfilm, ein Film, der diffusen Gefühlen nachhängt, was ist der Mensch, wer ist Rona? Was will sie im Leben? Ist Liebe für sie möglich? Hält der Entzug? Schafft sie noch eine akademische Karriere? Nützt es, wenn die Mutter für sie betet?
Der Film selbst gibt sich irritiert, wofür soll er sich interressieren, wenn die Protagonistin im Zentrum des Interesses steht, mal nur für einen Ausschnitt ihrer Haut, ihres Gesichtes, muss das immer so scharf sein?
Der Film hat auch eine gemeinsame Schnittmenge mit dem traditionellen britischen Soziodram à la Ken Loach. Gleichzeitig konfrontiert er den Zuschauer mit diesem Gefühl, das er kennt, das möchte, dass die Menschen alle funktionieren, nur keine Problemmenschen. Vermutlich ist es auch ein zutiefst feministischer Film, der aber nicht wie Titane oder The Substance eine feministische Wut auf die Leinwand knallt, sondern der mehr in die Frau hineinzuhören, hineinzusehen versucht.
Teils wird diese Welt auch als eine solipsistische dargestellt, wie oft die Frau doch die Kopfhörer aufhat (und die Musik hämmert entsprechend)!
Der Film könnte aber auch gelesen werden als ein feministisch-sentimentales Sichhingeben an frauliche Verlorenheit, romantizistisch – denn die Bilder von diesen schottischen Inseln inklusive Saoirse Ronan sind umwerfend schön.