Traurig-süßes Mexiko-Poem
Der Film von Jacques Audiard (The Sisters Brothers, Ein Prophet, Der Geschmack von Rost und Knochen, Dämonen und Wunder, der mit Thomas Bidegain und Nicolas Livecchi auch das Drehbuch geschrieben hat, findet Menschlichkeit und Gefühl im von Drogen und Drogenkriegen verunstalteten Mexiko.
Zusammen mit den Protagonisten verwandelt sich das Ensemble immer wieder in einen Chor, einen Operchor oder man kann darin auch den griechischen Tragödienchor sehen, der Grundbefindlichkeiten, Grundbedürfnisse des Menschen musikalisch, rhythmisch-tänzerischen Ausdruck verleiht. Das unterstreicht das Lyrische an dieser ganz spezifischen Geschichte aus dem Drogenmilieu.
Der brutale Drogenboss Gabriel Mendoza (Karla Sofía Gascón) möchte seit seiner Kindheit eine Frau werden und zwar lieber gestern als heute – ein kleines Problem, wenn man ein gesuchter Krimineller ist. Dazu braucht er Diskretion und eine clevere Anwältin, die ihm diese garantiert. Er findet sie in einem Prozess, den Jacques Audiard auf hohem internationalem Niveau als spannendes Filmentrée inszeniert.
Es geht um die Frage Mord oder Selbstmord in einem Beziehungsdelikt. Anwältin Rita (Zoe Saldana) ist das Hirn dieses Prozesses, die Lorbeeren heimst ihr Vorgesetzter ein. Mit solchen Menschen, denen ihre Fähigkeiten im Beruf aberkannt werden, ja für welche andere kassieren, ist ins Geschäft zu kommen. Und wer könnte der Verlockung einer limitlosen Kreditkarte widerstehen, einer Kreditkarte, deren Deckung durch unsaubere Drogengeschäft längst nicht mehr anzusehen ist?
Da Rita auf diese Weise wirtschaftlich abgesichert ist, wendet der Film sein Interesse mehr dem bald schon vom israelischen Doktor Wasserman (Mark Ivanir) in Emilia Perez umgewandelten Gabriel Mendoza zu; dieser wird ganz offiziell sterben müssen.
Jetzt ist der Film eine Hauptlast los, muss sich aber um andere Probleme kümmern, lösbarere; dazu verwandelt er sich selbst in seinem Genre, passt sich mehr der traditionell lateinamerikanischen Telenovela-Erzählweise an; wird langsamer und weniger kompliziert in der Machart.
Dafür umso herzlicher. Denn es muss sich um die Frau Jessi (Selena Gomez) des Verschiedenen gekümmert werden. Eine Unterkunft am Genfer See ist machbar. Aber irgendwann sehnt sich der ehemalige Papa doch nach seinen Kids. Er lässt, sich als Tante ausgebend, seine Frau mit seinem Nachwuchs nach Mexiko bringen.
Emilia wird mit den Folgen seiner Verbrechen konfrontiert. Jetzt macht sie eine Wandlung zur Wohltäterin durch, gründet die NGO Lalaceita, die sich um die ungeklärten Verbrechen der Drogengangs, des Sinoa-Kartells, kümmert.
Hier gibt es einen Berührungspunkt zum Film Was geschah mit Bus 670.
Einen dramatischen Input erhält die Handlung, wie Jessi einen Gustavo (Edgar Ramírez) kennenlernt und mit ihm und den Kindern wegziehen will. Das Fiese an diesem Film ist, dass man die ganze Zeit weiß, aus welch dreckigen Geschäften das Leben der an sich sympathischen Protagonistin kommt und auch dasjenige der Anwältin. Aber man ist ganz auf ihrer Seite. Immerhin machen sie ja eine Wandlung durch. Die Anwältin auch? Nun ja, für sie gilt: es hören, bedeutet ins Geschäft kommen.