Martin liest den Koran

‚Wenn Gott gewollt hätte, hätte er euch alle zu einer einzigen Gemeinde gemacht. Er wollte aber, dass ihr um das Gute untereinander wetteifert. Zu Gott werdet ihr allesamt heimkehren und dann wird er euch offenbaren, worüber ihr auf der Erde uneins wart“. Sure 5, Aya 48

Kunstfilm zum Thema Islam und Töten
oder Hadern mit der Religion?

Filmkünstlerische Installation rund um einen theologischen Diskurs über die Haltung des Korans zum Töten mit dem Schauspieler-Schwergewicht Ulrich Tukur als Professor für Koran-Exegese und mit Zejhun Demirov als untersetztem, haderndem und zweifelnd-fragendem Gegengewicht.

Anlass für das Gespräch ist der Jahrestag eines islamistischen Attentates mit vielen Toten. Martin und sein Töchterchen wurden schwer verletzt; das Kind wird wohl lebenslang invalide bleiben. Seither studiert Martin den Koran und sucht Antworten, sucht nach theologischen Begründungen für solche Taten im Namen des Islam.

Martin macht den Professor mitverantwortlich für den Anschlag, da der Attentäter bei ihm Vorlesungen besucht habe. Er sucht den Professor am Jahrestag unter dem Vorwand auf, er sei ein Student, der bei ihm die Prüfung ablegen möchte. Das führt kurz zu Verfahrensfragen, aber Martin kann den Professor in die Diskussion hineinziehen.

Erlaubt der Islam die Tötung von Menschen und wenn ja, von wem, nur von Ungläubigen oder gibt es ein rechtmäßiges Töten? Und auch die Frage, ob der Täter wirklich der Täter sei, oder wenn es im Auftrage Allahs passiere, ob dann nicht Allah der Täter sei.

So eine rein moralische, rein theologische Diskussion könnte im Kino unendlich langweilig zu schauen sein, zwei Menschen, die sich gegenübersitzen und Argumente austauschen, die sich einen in rotes Tuch verpackten Koran wie ein Stück Rohrpost schnell über den Tisch zuschieben.

Regisseur Jurijs Saule, der mit Michail Lurje auch das Drehbuch geschrieben hat, lässt, um diesem Augen-Ermüdungseffekt zuvorzukommen, der Kamera freien Lauf. Er lässt sie durch die Gegend sausen, durch leere Flure eines Unigebäudes, durch eine leere Unimensa, als ob sie Material für einen Horrorfilm liefern müsste. Er lässt sie agieren wie ein Zuhörer einer Podiumsdiskussion, dessen Augen nicht unverwandt bei den Diskutanten sind, sondern lässt sie im Raum umherschweifen, lässt sie an Details momentweise kleben. Er lässt sie wild um seine Nonaction kreisen, den Raum durchpflügen, er lässt sie auf Distanz gehen und sich wieder annähren, vorauseilen und zurückkehren.

Der Film wiederholt Dinge wie kurze Flashbacks. Auch Diskussionsfragmente. Das ist im Kino gar nicht schlecht in einer rein theoretischen Auseinandersetzung, so wie man beim Lesen eines Buches zurückblättern kann. Er lässt auch Fantasien und Visionen ins Bild umsetzen. Und er lässt Martin gar mit einer Bombe drohen. Um daraus einen religiösen Gewissenskonflikt zu machen, gibt es Telefonate und Seitenblicke zu Aliyah (Sarah Sandeh) seiner Frau.

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