Selbstausbeutung eines Autors
Das Genre Dokumentarfilm scheint zur Zeit kreativer zu sein als das fiktionale Segment. Es lässt sich einiges einfallen, um Künstlerporträts anzufertigen und lange nicht mehr sind es nur Hommagen mit lobenden Talking Heads.
Je weiter die Zeit fortschreitet, umso mehr Material sammelt sich an gerade über Künstler, umso schwieriger wird es aber auch, den richtigen Mix zu finden.
André Schäfers (Alles über Martin Suter außer der Wahrheit, Herr von Bohlen privat) Rezept einer Dokumentation über Thomas Mann ist wieder eine neue Variante. Er hat sich den Roman Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull vorgenommen.
Dazu gab es vor drei Jahren den Spielfilm Bekenntnis des Hochstaplers Felix Krull, der nicht so ganz zu befriedigen vermochte.
André Schäfers Vorgehen ist folgendes: Er besetzt den smarten Schauspieler Sebastian Schneider als Felix Krull, richtet ihn süß und attraktiv mit stark schwulem, unnahbaren Touch her. Er spielt aber nicht nur Szenen aus dessen Leben, das ist eher dünn gesät.
Man sieht diesen Felix Krull in einem Tonstudio Texte von Thomas Mann sprechen, sowohl aus dem Roman als auch aus Tagebüchern des Autors. Ferner lässt er seinen Protagonisten an historischen Orten in entsprechenden Kostümen durch das Heute flanieren, sinnieren, Bahnhöfe verlassen, Straßen queren. Oder Krull kniet am Boden beim Sortieren von Recherchematerial, vornehmlich Zeitungsausschnitte, zum Thema Hochstapler.
Gespielt wird auch die zentrale Szene, wie aus dem Kellner im feinen Hotel in einem Gespräch mit einem Gast die Verwandlung zum Hochstapler erfolgt.
Ein Reenactment, allerdings mit Verzicht aufs Drum und Dran, ist eine Szene aus einer Operette, in der ein Sänger namens Müller-Rosé auftritt, und die Felix Krull als Jüngling total beeindruckt hat; umso größer seine Enttäuschung, wie er den Darsteller nachher in der Garderobe aufsucht.
Aber wie schon im Film, scheint mir das Thema Hochstapelei irgendwie zu kurz zu kommen.
Nicht ganz klar wird das Kapitel über die Dinosaurier-Ausstellung und den Professor Kuckuck in Lissabon.
Dagegen ist ein inhaltlicher Schwerpunkt Thomas Manns Dauerthema der gleichgeschlechtlichen Liebe. Und wie er es nicht für möglich hielt, diese auch zu vollziehen mit den Jünglingen und jungen Männern, in die er sich verliebte und dies stattdessen literarisch kompensierte. Es gibt eine kurze Aufzählung von Romanen und ihren Anregern.
So entsteht das Bild eines Literaten, dessen Literatur auf Selbstausbeutung und Selbstverzicht beruht.
Besonders anfangs des Filmes gibt es eine Phase, in der dieser Mix aus Krull-Szenen, Archivaufnahmen von Thomas Mann selber zur Arbeit an diesem Roman, die sich über Jahrzehnte hinzog, einen richtiggehend zur Literatur verführen kann.
Im weiteren Verlauf verzettelt sich der Film thematisch, er mischt zu viel Zeitgenössisches, was gelegentlich beliebig wirkt, und geschichtliches Footage dazwischen; wobei es zeitweilig nur einen Zeitpunkt markiert, bei dem die Arbeit am Roman wieder aufgenommen worden ist; andererseits aber gibt der Film auch eine grobe Skizze von Stationen des Lebensweges von Thomas Mann, auch Erika und Golo kommen in Archivfootage zu Wort. Der Film ist durchaus geeignet, einen Eindruck von Thomas Mann als Literaten zu hinterlassen oder dessen Bild auszuweiten.