Tatort: Trotzdem (ARD, Sonntag, 6. Oktober 2024, 20.15 Uhr)

Die Frauen sind das Glück dieser Erde

Die Expositon des Falles ist durchaus vielversprechend: ein Justizirrtum, dem ein Ermittlungsirrtum zugrunde liegt. Ein verurteilter Häftling begeht Suizid nach drei Jahren Haft. Eine mit viel Komparserie angefüllte Lagebesprechung im Polizeikommissariat erörtert, ob der Fall neu aufgerollt werden soll. Soll er.

Allerdings wird das Thema des Justiz- oder Ermittlungsirrtums nicht weiter verfolgt. Der Tatort in der Regie von Max Färberböck und dem Assistenten Danny Rosness nach dem Drehbuch von Max Färberböck und Stefan Betz rollt in der gewohnt färberböckschen Mischung aus Sentimentalität und Gutmenschentum den Fall neu auf. Das passiert mit autoironisch kommentierter Routine. Dieselben Befragungen nochmal.

Die Schwestern des toten Gefangenen, Maria (Anne Haug) und Lisa (Mercedes Müller), wollen den Fall auch neu aufrollen. Sie haben einen Verdacht, wer der richtige Mörder sei. So kommt die daily-soaphaft charakterisierte Industriellen-Familie Dellmann ins Spiel, denn Sohn Stephan (Justus Johanssen) soll der wahre Täter sein.

Es lebe die Selbstjustiz. Die beiden Schwestern suchen den mutmaßlichen Täter auf und stoßen ihn kurzerhand von der Terrasse in den Tod. So einfach geht das heutzutage in Nürnberg. Im Wohltäter Karl Dellmann (Fritz Karl) werden die alten Verbrecherinstinkte und der Selbstjustizwunsch nach Rache am Tod seines Sohnes wach. Er setzt einen von ihm begünstigten ehemaligen Knasti (Hans Drescher) auf die beiden mutmaßlichen Mörderinnen seines Sohnes an. Gleichzeitig wollen auch seine beiden Milchbubensöhne Ben (Ben Münchow) und Tim (Julius Gruner) sich einmischen.

Schade an solchen Erfindungen ist, dass nicht die Charakterisierung der Einzelfigur im Vordergrund steht und als Spannungserzeuger genutzt wird, sondern dass lediglich Klischees und Vorurteile gegenüber Neureichen zum Handlungsantrieb herhalten müssen. Das macht die Action austauschbar, verwechselbar.

In dieses Gemenge wird auch noch der Lover einer der beiden Schwestern, Maik (Florian Karlheim – hier ist wenigstens eine Charaterisierung eines halbscharigen Unternehmertypen versucht worden) hineingezogen. Das artet 20 Minuten vor Schluss in eine Schießerei von lauter Dilettanten mitten in Nürnberg aus – weit entfernt von realistisch, entweder weil es das in Nürnberg nicht gibt, nicht geben darf, oder weil es an den Mitteln realistischer Darstellung gebricht.

Wie das mit den Pistolen und den lauter Schießdilettanten außer Kontrolle gerät, wirkt es, als seien Drehbuch und Regie auch außer Kontrolle geraten. Und da ist erst 20 Minuten vor Schluss, vier Tote. Wie kann da die Kontrolle zurückgewonnen werden? Es übernimmt die Herrschaft die Hypothese.

Konkret fängt der Tatort an mit einer Liebesschwärmerei gegengeschnitten mit einer Verzweiflung; es ist diejenige des Häftlings. Fängt an mit arthouseambitioniertem, schummrigem, allerdings altbacken wirkendem Schwarz-Weiß. In den initiierenden Gesprächen zwischen den beiden Kommissaren Paula und Felix und vorher mit der Blumenverkäuferin, strahlen sie die bewusst aufgesetzte Fröhlichkeit aus, wie jene von in den Fußgängerzonen werbenden Christen. „Fünf Lover in einem Jahr, die hat wirklich nichts anbrennen lassen“ (öffentlich-rechtliche Schiefsicht auf Polyamorie?).

Vom fränkischen Erbgut, das einmal angeführt wird, ist wenig zu bemerken.

Wohlfeil ist der Selbstjustizgedanke und als Gegengewicht ist der Film gewissensgeschwängert, was ist los, was machst du, melden Sie sich bevor es zu spät ist, Du hast alles geschafft, hinter Dir gelassen …

Frage: ist Nürnberg eine sichere, deutsche Großstadt?

Und dann muss Paul noch ein Lied singen, das ist der Höhepunkt dieser Tatortmesse, dieses Requiems auf eine Kommissarin. Gottesdienst zu Ende. Das zieht sich. Und am Schluss ersäuft dieser Tatort in Rührseligkeit über der eigenen Bedeutung, die mit dem Abschied von Paula in den Ruhestand bekräftigt werden soll.

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