Never Let Go – Lass niemals los

Alptraum Mutterliebe

Die Nabelschnur ist die Verbindung zwischen Mutter und Kind bis zur Geburt. Bei der Geburt wird sie durchgeschnitten. Dann muss das Kind selbständig atmen und sich ernähren. Das ist der physisch-biologisch belegbare Aspekt der Verbindung zwischen Mutter und Kind.

Aber die Beziehung fängt mit der Geburt erst richtig an. Die Ängste sowohl der Mutter als auch des Kindes. Urängste. Existenzängste. Die psychische Nabelschnur gibt es auch. Die bleibt lange bestehen. Es gibt den Prozess der Abnabelung, wenn Kinder im Coming-of-Age sich nicht mehr von Muttern behüten, gar bevormunden lassen wollen.

Und es gibt Menschen, bei denen kommt es nie zu einer Abnabelung. Das werden Lebenssymbiosen. All das und vieles, was damit zusammenhängt, da könnte man psychologisch tief bohren, hat Regisseur Alexandre Aja und seine Drehbuchautoren KC Coughlin und Ryan Gassby fasziniert und verlockt, einen Horrorfilm der ganz konkret diese Mutterliebe bebildert, zu machen.

Ein Film, der diese Liebe, diese Abhängigkeit ad absurdum führt, in den Horrorexzess.

Die Nabelschnur von Samuel und Nolan ist ein veritabler Strick. Mutterangst extrem.

Die Mutter, Halle Berry, hat sich mit ihren zwei Söhnen in ein Haus im undurchdringlichen Dschungel zurückgezogen. Den Mann scheint sie umgebracht zu haben. Geschützt sind die Söhne nur im Haus. Und da sind sie vor der ganzen Welt geschützt, resp. vor ihr weggesperrt.

„Das gute Haus aus uraltem Baum“, so beginnt das Gebet, die Litanei, die den Söhnen den Glauben an den Schutz durch die Mutter einbläuen soll. Wenn sie das Haus verlassen, bleibt der Schutz nur bestehen, wenn sie sich an ein dickes Seil anknoten.

Der Film macht sich eine genaue Pflicht daraus, solche Dinge konkret, detailglaubwürdig zu schildern, wie das Spleißen eines Seiles. Da schaut man zu.

Die Bewohner können aber nur so weit weg vom Haus, wie die Seile lang sind. Und sie müssen diese beim Rückweg wieder aufwickeln. So bleibt das Nahrungsangebot beschränkt auf Kriechtiere (welche Delikatessbilder in den Pfannen!), Baumrinde oder Vögel, falls sie mit der Armbrust welche erwischen.

Aja macht sich nicht nur einen Mordsspaß draus, diese Abhängigkeitssituation zu schildern, er streut auch Zweifel in die Saga, dass Mutter immer die Wahrheit sage. Einer der Söhne glaubt nicht mehr, dass sie ohne Seil den Schutz verlieren. Es gibt ein Beispiel. Da ist ein Vogelei, das nicht mehr in Reichweite liegt. Da löst er sich vom Seil. Es passiert ihm nichts. Stimmt nicht ganz.

Der Film lässt nun die Mutter der Mutter als Gespenst, als wahre Teufelin erscheinen. Schöne Spukbilder im Wald mit Nachthemdmatrone mit schwarz züngelnder Zunge und tiefer Bärenstimme.

Der Film offeriert eine peinlich genaue, wenn auch leicht amüsiert gezeichnete Variation zum Thema Mutterliebe, Mutterabhängigkeit garniert mit prima dosiertem Grusel und herrlichen Darstellern.

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