Paris Paradies

Die Kloake Paris unter der Lupe

Obwohl der Vorwurf von Paris, resp. der Seine, als Kloake erst mit den Olympischen Spielen aufgekommen ist, wirkt dieser Film von Marjane Satrapi (Marie Curie, Elemente des Lebens), die mit Marie Madinier auch das Drehbuch geschrieben hat, wie ein Versuch, diesen Vorwurf zu entkräften.

Es wirkt so, als bitte Frau Satrapi ihr Publikum in einen Hörsal. Unter dem Mikroskop, das auf die große Leinwand projiziert wird, zeigt sie aus Entnahmen aus diesem Paris auf, was für ein geschmackvoll-gediegenes Leben samt dessen kleinen Problemen es da gibt. Dass aber diese kleinen Probleme mit Liebe zu lösen sind.

Das Rezept, das der Film am Ende vorgibt, ist vielleicht etwas simpel, etwas sehr optimistisch.

Da die Welt unter diesem Mikroskop eine von Majane Satrapi konstruierte Welt ist, müssen ihr die Heilmittel geläufig sein. Es ist eine Welt mit wunderbaren Schauspielern, die großartig Theater spielen mit Satrapi in einer Film-im-Film-Szene mittendrin wie ein Monolith als Regisseurin. Das sind die Finessen.

Aber die Welt, die die Filmkünstlerin auf die Leinwand entwirft, ist nicht jene der Leute, die glücklich sind auf ihrem Balkon und solange sie ihr Poulet auf dem Tisch haben. Es ist nicht die Welt der Leute, die wegen Krankheiten und deren Kosten in ernste Probleme geraten, ist nicht die Welt der Leute, die unter der Inflation leiden, ist auch nicht die Welt der Leute, die täglich lange Anfahrten mit der Metro oder dem Bus zur Arbeit unternehmen müssen, um irgend einen Drecksjob zu erledigen.

Es ist auch nicht die Welt der Banlieu oder der Immigranten mit ihren spezifischen Themen. Bis auf Badou (Gwendal Marimoutou), der sich Fred nennt. Weil er eine abgehalfterte, scheintote Opernsängern (Monica Bellucci) nicht angemessen schminkt, verliert er seinen Job beim Beerdigungsinstitut und landet als Maskenbildner am Filmset von Satrapi. Er verliebt sich sofort in den Stuntman Mike (Ben Aldrige), der wiederum Stuntman nur als Ersatzlösung ist, eigentlich sieht er sich als Schauspieler.

Es sind lauter Miniausschnitte aus möglichen Pariser Leben, die gegenseitig verschränkt sind oder sich peripher begegnen. Ein Flickerlteppich, ein Wimmelbild mit ein paar kuriosen Einfällen.

Die Opernsängerin Giovanna ist frustriert, dass die Nachricht von ihrem Tod, die schon an die Medien hinausgegangen ist, so gar keine Resonanz zeitigt. Ihr Mann Rafa (Eduardo Noriega) ist Dirigent. Der wird nebst der Trostfunktion für Giovanna noch gebraucht für eine finale moralische Szene, hochdramatisch, mit einem wunderbaren Konzert und angemessenem Auftritt der Sängerin.

Wimmelbildkunst, Teppichwebkunst, persisch womöglich.

Künstlerisch-sadistisch ist die Geschichte um die psychisch gestörten Marise-Cerise (kein Wunder, wenn Eltern ihr Kind so nennen) (Charline Emane). Sie wird von einem Sadisten entführt und in dessen geräumigen Ateliers gefangen gehalten. Sie wird für die Sitzungen an ein Kreuz befestigt, er versucht sie zu blutig zu ritzen, das scheint ihn sexuell anzutörnen. Erster lustiger Gag dabei, wie er eine geeignete Stelle sucht, sind überall Narben als Zeugnisse misslungener Selbstmordversuche erkennbar und der zweite ist derjenige, dass Marie-Cerise ihn pausenlos mit ihren Psychomüll volllabert, bis er ihrer überdrüssig wird.

Ein Augenmerk verdient André Dussollier (grad hat er in Liebesbriefe aus Nizza brilliert) als Edouard Emmard, ein Fernsehmoderator, der ans Abdanken denkt. Er verkehrt in dem Café, in dem die Opernsängerin sich betrinkt. Auch dem Wirt ist eine kleine Glücksgeschichte gewidmet.

Ein Polizist auf einer Polizeistation ist ein weiteres Bindeglied zwischen verschiedenen Augenmerken der Lebensdozentin Satrapi.

Generell ist es eine niedliche Welt, eine saubere Welt ohne Wut und Groll, ohne Eifersucht, ohne Neid, es ist eine gehobenere Welt, auf die Frau Satrapis Glücksformel gut anzuwenden ist. Eine Welt ganz ohne Doping und Korruption. Es ist die Besichtigung einer lebenswerten Welt, die Verzweiflung, Enttäuschung und Schmerz nicht ausspart. Es ist nicht eine Welt, die primär von der Beobachtung heutiger Realität lebt. Es ist eine Welt vorgeblicher Realität. Es ist ein Film, der ein bestimmtes Leben in Paris liebt und lobt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert