Jeder nur ein Rädchen
Peter Weiss hat mit Die Ermittlung nach den Auschwitzprozess-Protokollen von Bernd Naumann ein Theaterstück entwickelt. Das war 1965.
RP Kahl hat das Stück jetzt in einem Studio mit prima und prima ausgewählten Schauspielern für eine Aufzeichnung fürs Kino inszeniert. Und die 4 Stunden tragen im Kino – und wie!
Es ist alles theatral. Genau diese Künstlichkeit, die von der Ausstattung über die Kostüme, die Maske, die Brillen und Krawatten, die Frisuren konsequent durchgezogen wird, sowieso im nie naturalistischen Spiel, die ist es, die das Grauen von Auschwitz, an dem jede Menge von Menschen mittätig waren, so glasklar vor Augen führt ohne jeden Versuch der Bedröppelung, wie man ihn aus x Holocaust-Verarbeitungsfilmen kennt.
Der Film ist ein zwingendes Kontrastprogram zu The Zone of Interest; er bespricht das, was dort nur in Form von Indizien wie Blut am Stiefel, Asche für die Gartenerde oder Rauch aus den Kaminen rüberkommt. Aber auch er arbeitet mit dem Trick, die Dinge nicht vorzuführen, um irgendwelche Art von Ekel oder Schauder zu erzeugen, sondern um den Geist anzusprechen, der versucht, das Unfassbare zu begreifen, was natürlich irgendwie überhaupt nicht geht, diese Banalität des Bösen, wie sich die Angeklagten alle unschuldig fühlen, wie sie nur auf Befehl handelten, wie sie ihre Beteiligung leugnen, wie sie alle nur ein kleines Rädchen gewesen sein wollen, das auch nur für sein Überleben gekämpft hat, wie übrigens auch Zeugen, also Überlebende, sich ihr Überleben im KZ durch Einsatz für das Lager als Leichenträger oder Übersetzerin beispielsweise gesichert haben.
Hat schon Peter Weiss aus dem Wust von Material, was so ein Prozess abwirft, er selber sei auch dabei gewesen, sehr geschickt ein Kondensat gebüschelt, das er als Oratorium in 11 Gesängen verpackt, so hat RP Kahl eine prima Choreographie für die Kamera entwickelt und auch die Arbeit mit dem Licht ist diskret – ebenso die mit der Musik – und geschickt.
Es gibt in den Beleuchtungen so etwas wie es in der Natur einen Tagesablauf gibt, einen Rhythmus, eine allmähliche Veränderung, so dass im Auge des Betrachters keine Ermüdungserscheinungen auftreten.
Und auch das Ohr kann augezeichnet mithalten bei der exzellenten Sprachregie, zu schweigen von der herausragenden Auswahl der Figuren in allen Positionen.
Die einzelnen Gesänge fangen mit einer schwarz-weiß Übersicht über das Lager an und die Baracken, von denen die Rede ist, sind weiß hervorgehoben. Dann kommen zu dem entsprechenden Thema Zeugen, Angeklagte und weitere damit befasste Fachleute zu Wort. Dabei kommt es immer auch zu Wortwechseln zwischen Richter, Staatsanwalt und Verteidiger.
Das sei ausnahmsweise ein Film, der der Sache dient, und wo darauf verzichtet wird, einzelne Darsteller namentlich zu erwähnen.
Der Film würde für mich sofort in einen noch zu erstellenden Kanon verbindlicher Holocaus-Verarbeitungsfilme aufgenommen werden müssen, genau so wie The Zone of Interest.
Allerdings: Die Texte im Anspann mit den Infos über Auschwitz und den Prozess sind viel zu lang und dafür zu klein geschrieben und am Ende, den koproduzierenden Fernsehanstalten geschuldet?, scheint es mir überflüssig, ja geradezu kontraproduktiv, noch Originalaufnahmen vom heutigen, touristischen Auschwitz samt Bedröppelmusik anzuhängen.