Kinds of Kindness

Kein Zuckerschlecken

Yorgos Lanthimos, zuletzt hat er mit Poor Things schwer beeindruckt, bleibt seinem Thema treu, der Grundfrage nach dem Humanismus, ob es so einen überhaupt gebe, oder ob man sich ihm auf dem Weg der Negation annähern könne. Vielleicht ist das eine Gefahr in seinem Werk, dass es in der Tiefenströmung predigthaft ist und eigentlich immer das Gleiche verkündet.

Humanismus heißt, dass sich alle Menschen gleich sind. Das doziert Lanthimos diesmal mit heiligem Ernst und auf die Spitze getrieben als Negation, als Austauschbarkeit, Austauschbarkeit auch der Charaktere und der Rollen.

Austauschbarkeit der Settings, der Szenen, so austauschbar, dass die Plots verschwimmen. Er erzählt vorgeblich drei Geschichten, jedes Mal geht es um die Hauptfigur R.M.F. (Yorgos Stefanakos), einmal isst er beispielsweise einen Sandwich, heißt es im Zwischentitel oder gleich zu Beginn soll sein Tod inszeniert werden.

Hatte Lanthimos noch in seinen Vorgängerfilmen auf eine unverwechselbare Ästhetik, Ausstattung und Kameraperspektive geachtet, so gilt hier geradezu das Gegenteil. Jede Szene könnte aus einem x-beliebigen internationalen Thriller stammen, der Niveau hat er, aus Blockbustern oder Fernsehkrimis, egal. Die Gleichmacherei herrscht.

Die motorisierten Protzmaschinen der Darsteller, die variieren zwar, mal ist es ein schwarzer SUV oder dann ein schnittiger Sportwagen, der immer wie wahnsinnig und übertrieben Gas gibt und keine 50 Meter kurvenlos geradeaus fahren kann oder es spielt eine Yacht mit, so anonym und gesichtslos ausgestattet wie irgendwas, Hauptsache protzig.

Auch seine Darsteller stiften vor allem Verwirrung. Lange hält das Echo aus Poor Things an mit Schnittmengen an Darstellern, denn deren Hauptpfund, Emma Stone und Willem Dafoe, sind wieder mit von der Party, in verschiedenen Rollen in jedem der drei Einakter, hier ebenfalls in verschiedenen Rollen ergänzt von Margaret Qualley, Hong Chau, Mamoudu Athie und Jesse Plemons.

Es ist ein Film, der dem Humanismus-Nerv reichlich Schmerzen bereitet. Die Figuren sind ruchlos. Im ersten Stück sollte Robert (Jesse Plemons) seinem Chef Willem Defoe einen mörderischen Gefallen tun. Hier verweist der Regisseur sogar auf die literarische Caligula-Figur von Camus.

Die Brutalitäten ziehen sich weiter bis hin zu Versuchen, Tote wiederzubeleben. Ausbeutung der Urständ des Sektiererischen und auch des Zwillingsthemas.

Es ist ein Film, den man sich vielleicht nicht so leicht merken kann, wie Poor Things, aber er wühlt ungeniert in den Eingeweiden des Humanismuszentrums, er versucht zu desillusionieren oder er predigt Desillusion und der einzige, der überlebt, wozu? Damit er Burger in sich reinstopft und dabei seine weiße Weste mit Ketchup bekleckert; ein vielleicht eher zynisch-augenzwinkerndes Fazit.

Nein, garantiert kein Genussfilm, so verkommen die Menschheit hier dargestellt wird – und hoffnungslos. Wie katastrophal Lanthimos die Menschheit für verrottet hält, gibt er auch mit nervigem Geklimper auf der Tonspur zu erkennen; hier wird gar nicht erst versucht, eine heile oder hoffnungvolle Welt zu simulieren. Fehlgeburten spielen genau so eine Rolle wie Verletzungen, Missbrauch, Gewalt in der Beziehung, KO-Tropfen, Voodoo.

Wozu auch mehr wollen, besteht doch der Mensch zu Dreivierteln aus Wasser – da können sie gelassen in den leeren Pool springen. Dass das mit dem Wasser-Thema des misslungenen Plakates des Münchner Filmfestes zu tun hat, dürfte eher zu bezweifeln sein.

Exzesse der Humanismusfrage. Schauderspiegel einer enthumanisierten Menschheit.

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