Mutter-Sohn-Konflikt – unlösbar,
nein, im Kino, das ja auch eine Trauwelt sein kann und darf, wird der Konflikt zwischen Nina (Maren Eggert) und ihrem halbwüchsigen Sohn Lars (Jona Levin Nicolai) versöhnlich enden, nachdem sie sich doch dies und das kaputt gemacht haben, nachdem sie ihren Stadtmantel effektvoll über die Falaises geworfen hat, nachdem er einen Teller voller Spaghetti mit Handkantenschlag zertrümmert hat, nachdem dann doch – vernünftelnd wohl – die Mutter ihr Schweigen gebrochen hat und herausgerückt ist damit, was sie wusste, aber von dem sie vorgab, es nicht zu wissen in unausgesprochener Komplizenschaft mit dem Sohn.
Der wurde Zeuge des Todes von Clara. Das machte ihn wortkarg und suizidgefährdet. Daran erinnert die Kamera immer wieder mit Bildern von Fenstern oder Klippen, von denen zu springen in so einem Fall verlockend ist.
Fett symbolisch wird das Feuer eingeführt und dass man nicht spielen solle mit ihm.
Mutter ist Dirigentin und was hat Dirigieren mit dem Spielen mit dem Feuer zu tun? Und wie kann es zur Läuterung zwischen Mutter und Sohn kommen, die sich gezielt deshalb – es ist Winter – auf die Kanalinsel zurückziehen, die ihr Sommerferienort ist.
Fett symbolisch also auch die Kälte. Und die karge Landschaft, die die Kamera überzeugend einsetzt, erzählt das ihre dazu. Es ist wie ein psychologisches Dozierkino. Es wird unzweideutig behauptet, es kommen unzweideutig diese Drehbuchzwecksätze vor, die Realismus vorgaukeln sollen: „Hast Du was gesehen?“, „Komm, wir müssen zum Laden“, „ Die Fähre geht heute Abend“ oder, wie lange man brauche, um das Boot zu reparieren. Alles ist fett symbolisch. Symbolhafter als ein Boot, erst ein kaputtes, dann ein repariertes, geht nicht. Und über allem schwer lastende klassische Musik und, um dem Geschehen noch mehr Bedeutung zu verleihen, wird auch das gängige Theatermittel von Regen, Blitz und Donner eingesetzt.
Ein Film voller einsamer Figuren, alle in ihre kleinen Problemwolken verkapselt. Zentral ist der Mutter-Sohn-Konflikt. Mutter ist ständig im Stress. Sohn Lars steckt in Pubertätsproblemen und hat pyromanische Anlagen. Ein Mädchen an seiner Schule verschwindet. Wird nach 5 Tagen verbrannt aufgefunden. Lars ist ständig am Rande suizidaler Versuche und Mutter ahnt seine Verwicklung und geht gleich energisch gegen diese Möglichkeit von Wahrheit vor.
Die Regisseurin ist Hanna Slak, die auch für das Drehbuch zeichnet unter der Dramaturgie von Lena Reinhold und Francoise von Roy und redaktionell betreut von Nina John (BR), Carlos Gerstenhauer (BR), Barbara Häbe (Arte). Die Regisseurin schickt ihre beiden Protagonisten Mutter Nina und Sohn auf die Insel, damit die unausgesprochenen Konflikte eskalieren und explodieren können.
Vielleicht ist es des malerischen Effektes willen, dass die Dirigentin Nina mit ihrem Stadtmantel auf die Insel geht, hier über Ödland marschiert, um ihn dann mit großer Geste über einen Felsabhang in die Bucht zu werfen, vermutlich samt dem störenden Handy drin. Befreiungssymbolik, die aufwändig vorbereitet wird. Oder so einer der Darlings, die Drehbuchschreiber lieber killen sollten. Diese Mantelaktion ist umso verwunderlicher, als später zu sehen ist, dass die ganz gut eingerichtet sind mit genügend Wärmejacken in einem Schuppen in ihrem Ferienhaus.
Ein weiterer Liebling der Autorin scheint die Telefonstation auf der einsamen Kaimauer zu sein; ein weiterer schöner Effekt um seiner selbst willen. Dort klingelt es auch einmal, nachdem mehrere Handies nicht mehr funktionieren oder ins Wasser geworfen worden sind.
Auf der Insel lässt die Filmemacherin ihre zwei Protagonisten auch auf sich gestellt sein und die Mutter, jetzt im Parka, einen Abhang runterrutschen, während Sohnemann wieder auf einem Felsen mit dem Sprung in die Tiefe liebäugeln darf, wenn ihm da nicht Gwen (Juliane Siebecke) dazwischen käme. Gwen ist die behinderte Tochter einer Inselbewohnerin. Sie ist vor allem zu Illustrationszwecken der Pyromantik von Lars in den Film eingefügt. Zur Erhöhung der Dramatik ist einerseits düstere Klassikmusik und andererseits Gewitter, Blitz und Regen gut sowie der Ausfall der Fähre.
Möglicherweise ist der Schlüssel zum gegenseitigen Verständnis von Mutter und Sohn das Blut, was Nina vom Abrutschen am Abhang auf der Wange hat. Das ist das Wunder; das ist der Weg zur Läuterung der Mutter. Jetzt kann der Sohn freundlich der Mutter Spaghetti schöpfen oder sie reparieren gemeinsam das Segelboot oder er verbindet ihr die Hand. Dabei wird es ein trautes Gespräch zwischen Mutter und Sohn über den Carla-Vorfall geben – in Grenzen „Manchmal ist es besser, wenn man Sachen nicht ausspricht“ (ein Satz, der aus einem Drehbuchseminar stammen könnte).
Und vor allem ist Mutter scharf drauf, den Suizidversuch von Lars, bei dem er in der Schule aus dem Fenster gesprungen ist, als Unfall abzutun; er wollte den Fenstergriff reparieren, versucht sie ihm einzutrichtern. Zur Verbrennungsthese von Carla bietet der Film von Hanna Antonia Wojcik Slak immer wieder Hinweise mit Feuerzeugen („Lass Deinen Sohn lieber nicht mit dem Feuerzeug spielen“; „Hier spielst Du nicht mit dem Feuer, verstanden!“, „Lars, ich hab gesagt, Du sollst nicht mit Feuer spielen!“).
Die Filmemacherin zeigt in ihrem Film deutlich, wie wenig Souveränität die doch offenbar erfolgreiche Dirigentin im Privaten und indirekt auch mit dem Geschäftlichen hat. Genau so eindringlich zeigt sie den Stress eines solchen Berufes auf. Ständig klingelt das Handy und ständig hat sie grad keine Zeit. Insofern ist verständlich, dass Lars zum Vater möchte, der aber als Erzeuger bislang wenig im Fokus der Filmemacherin steht und insofern mit einem Beinah-Komparsenauftritt abgespeist wird.
Vor kurzem war im Kino ein weiterer Film über eine Dirigentin zu sehen, ein Film fürs Weltkino: Tar. Und dokumentarisch gibt es Joana Mallwitz.