Evile Never Ends

ABSCHIEBUNG SOFORT!

Alle Politiker jeglicher Couleur, die gerade wieder hochaktuell diese populistische Forderung in jedes sich bietende Mikro tröten, sollten, bevor sie sich in blindem Aktionismus noch weiter verrennen, vorher diesen meditativ-besinnlichen Film von Bahar Bektas, die mit Arash Asadi und Tobias Carlsberg auch das Drehbuch geschrieben hat, anschauen, 98 Minuten, die sich lohnen.

Es ist zwar eine Selbstbespiegelung der Regisseurin und ihrer Familie. Aber dank verschiedener Beratungen verhaspelt sie sich nicht in den Fallen, die das eigene Unglück und das Leiden darunter so gerne stellen.

Zentraler Spielort ist Starnberg am Starnberger See bei München, einer der begehrtesten Wohnorte des Landes und wohl einer der reichsten. Hier wohnt die Familie der Filmemacherin, ihr Vater, ihre Mutter. Bruder Onur ist ausgezogen und der andere Bruder Taner sitzt im Gefängnis.

Der Film wurde zur Covid-Zeit aufgenommen, ab und an spielen Masken mit.

Weswegen Taner einsitzt, wird nicht erwähnt. Er hat eine Straftat begangen und büßt dafür. Aber nicht nur er. Wie die Mutter behandelt wird, wenn sie ihn, 600 Kilometer von Starnberg entfernt für eine Stunde besuchen will, ist es wert, sich mit einem Schreiben an die Gefängnisleitung zu beschweren.

Bahar Bektas deckt nach und nach wie beim Memory-Spiel Karten des Schicksals ihrer Familie auf. Sie umschifft aber die Klippen des deutschen Belehrfernsehens genauso wie denjenigen des deutschen Befindlichkeitskinos.

Sie setzt sich mit einem Familienmitglied oft vor die Kamera, auf ein Sofa zu Hause oder auf eine Bank in den Hügeln hinter Starnberg, oder auf der Terrasse in Kleinasien, ungezwungen, nachdenklich, ohne Dialogzwang. Interessant ist dabei, dass so ein Film substantieller rüberkommt als einer, der Angst vor dem Atmen, vor dem Nachdenken hat, und meint, pausenlos Text liefern zu müssen.

Es gibt Abstecher in die Türkei, dem Herkunftsland der Familie. Dort gibt es ein Haus.

Ein weiterer Trick, um nicht in einfache Parteilichkeit zu verfallen, ist derjenige, dass man oft im ersten Moment nach einem Schnitt gar nicht weiß, ja sind wir jetzt noch in Izmir oder sind wir schon wieder in Starnberg. Es gibt mehr Schnittmengen zwischen der Türkei und Starnberg als sich unsere Schulweisheit träumen lässt.

Der zentrale Storyplot ist das Ansinnen von Taner, dass er seine Abschiebung beantragt hat. So hätte er hier seine Schuldigkeit getan, würde dem deutschen Staat nicht weiter zur Last fallen als Gefängnisinsasse (wenn ich richtig orientiert bin, dürften die Kosten dafür im Bereich der Übernachtungskosten mindestens eines Mittelklassehotels liegen) und er könnte versuchen, in der Türkei ein neues Leben anzufangen.

Wie kompliziert das ist, lässt sich nur erahnen; das Haupthindernis scheint dabei vom deutschen Staat auszugehen; die Herren Politiker, die jetzt so lauthals ABSCHIEBUNG SOFORT schreien, müssten sich womöglich an der eigenen Nase nehmen.

Der Film gibt wie beiläufig einen differenzierten Blick in das Leben dieser Migrantenfamilie, deren Tochter offenbar dabei ist, sich als Filmemacherin zu etablieren.

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