Eine vorbildliche Deutsche
Diese Lebenslinien von Dr. Georg Bayerle unter redaktioneller Obhut von Christiane von Hahn über die Verlegerin Carola Niemann dürften ganz im Sinne eines öffentlich-rechtlichen Rundfunkes sein, dessen Grundauftrag die Wachhaltung eines demokratischen Geistes ist.
Hier geht es um Rassismus und den Umgang damit. Und da ist die Deutsche Carola fast schon als weise zu bezeichnen, wenn sie erzählt, wie sie einst Marcel Proust gelesen hat und eine ältere Dame sie in sympathisierend gebrochenem Deutsch zur weiteren Lektüre ermuntert hat. Sie zeigt Verständnis für die Dame, deren Leben seine Begrenzung in Umständen und Faktoren (also Carola verwendet nicht diese Ausdrücke) zu verdanken hat.
Ok, diese Lebenslinien sind auch eine PR-Veranstaltung für die von der Protagonistin herausgegebene Zeitschrift, die sich um die Probleme von Frauen, deren Masse die Norm überschreiten, kümmert.
Ihren eigenen Lebensweg sieht Carola selbst teilweise als abenteuerlich an. Mit 6 Jahren schickt sie ihr Vater aus Liberia nach Hindelang in Bayern. Sie muss damit klar kommen, dass sie anfangs kein Wort versteht, dass sie ausgelacht wird wegen ihrer Hautfarbe. Später kommt ihre Schwester nach und erst einige Jahre später ziehen auch Vater Mutter nach Deutschland um.
Die Familie muss sich in München neu erfinden. Das einschneidenste Erlebnis ist bald darauf der Tod der Mutter. Andererseits hat Carola das Verantwortungsbewusstsein einer Erstgborenen, was möglicherweise viel kompensiert.
Ein weiterer Faden im Gewirk ihres Lebens ist die Legasthenie. Diese wiederum aktiviert offenbar ganz besondere, andere Qualitäten und dank einer verständnisvollen Lehrerin schafft sie es, einen Umgang damit zu finden. Sie lernt Schneiderin beim angesagten Sweetheart in Schwabing, sie macht ihren Weg durch Moderedaktionen von Vogue bis zum Playboy. Sie ist das Gegenteil des Bildes vom notorisch jammernden Deutschen. Es lässt aber aufhorchen, dass ihre Tochter wiederum genau diese optimistischen Eigenschaften der Mutter nicht hat.
Der Titel der Sendung scheint mir etwas unglücklich, „Eine weise Deutsche“ wäre sicher zutreffender, denn ohne Norm ist ihr Leben ja nicht, ganz im Gegenteil: es sind empfehlenswerte Normen, wie Carola sie vorlebt, weniger im Sinne von Körpermaßen im Sinne der Modeindustrie, sondern von Normen, die eine demokratische Gesellschaft voranbringen.