Storytellings Schlittenfahrt
Leute mit Spoilerallergie dürfen hier nicht weiterlesen, allenfalls gerade diesen und den nächsten Abschnitt, die vom Anfang des Filmes berichten werden und den Themenbereich umreißen. Sonst gibt es unerwartete Wendungen und auch Stilwechsel.
Der Film von Lisandro Alonso, der mit Fabian Casa und Martin Caamano auch das Drehbuch geschrieben hat, fängt in brillanter Schwarz-Weiß-Fotografie an, die in ihrer Gestochenheit an Sebastiao Salgado erinnern lässt. Es ist eine Westernlandschaft. Ein Indianer steht auf einem Felsvorsprung. Vielleicht ist es der Prolog, den er zum Himmel und in die Einöde hinaussingt – ohne Untertitel.
Von Weitem nähert sich ein Pferdefuhrwerk, gesteuert von einer Nonne (Luisa Cruz). Hinten drauf ein Sarg. Und ein Mann. Ein Weißer, Murphy (Viggo Mortensen).
Der Film fasziniert bisher in seiner Präzision und seiner klaren Heutigkeit, auch die extrem lockeren Sitten oder der Mann, der ewig an seinem Hosentürl rumfingert nach dem Pinkeln oder seien es die Bewegungen mit dem Mund von Murphy, seien es spätere Dialoge in der typischen Westernkneipe, wo es um das Mannsein geht, sein Selbstbild und das Bild, was andere von ihm haben.
Den letzten Kilometer zur Stadt muss Murphy zu Fuß gehen, da die Nonne keine Zeit mehr hat. Es wird schnell und gut rumgeballert in der Westerncity. Murphy ist auf der Suche nach seiner Tochter, aber ob das überhaupt eine Rolle spielt, ob sich überhaupt jemand für so einen Western interessiert? Offenbar niemand, denn, jetzt fängt die Spoilerei an, der Film läuft im Fernsehen in einer Wohnung in South Dakota.
Hier steht eine Polizistin (Alaina Clifford?) hinter dem Fernseher und bereitet sich auf ihren Dienst vor. Der Film hat jetzt zu Farbe gewechselt. Im Folgenden wird es Szenen geben, die in ihrer Absurdität fast an Bunuel erinnern.
Der Streifendienst führt die Polizistin in ein verwahrlostes Haus aus lauter Messies und Alkoholikern und kaputten Familien; bunuelsche Bildwelten. Aber der Film denkt nicht daran, so weiterzumachen. Er wandelt sich zusehends zum Soziodram, das sich um die Schicksale von Indianern in den Reservaten kümmert. Da gibt es genügend zu tun. Die Verhältnisse sind nicht rosig. Sie werden aber auch von der Filmwelt ausgebeutet; zumindest erleidet eine Schauspielerin, die auf Recherchereise für einen Film ist, eine Autopanne und rückt so in den Fokus von Film und Polizistin. Diese ist mit Sadie (Sadie LaPointe) zusammen, die selbst wiederum Sport unterrichtet und so etwas für die Indigenen tun will. Allerdings spürt sie nach der langen Nacht der Abwesenheit ihrer Freundin, dass der Krieger in ihr erwacht.
Möglicherweise ist es der Trunk, den ihr Opa und Pferdehalter ihr zubereitet, der auch den Film in Trance und damit mit einem Schnitt in den brasilianischen Dschungel von Indigenen versetzt. Hier lümmelt er dann förmlich in schön filmischer Indigenenkultur und in Natur-pur-Dschungelbildern.
Eine Gruppe von Menschen soll einem Guru ihre Träume erzählen. Es wird eine Bluttat geben, eine Flucht, ein Ankommen bei Goldwäschern an einem Bach. Der Film interessiert sich für den jungen Mann, der flieht, der eine eigene Abenteuerreise unternehmen wird. Es wird noch minimale Querverbindungen zu den vorhergehenden Geschichten geben und als durchgängiges Motiv fungiert ein Reiher oder eher ein Pelikan, über den man sich wundert, wie prima er sich offenbar an die Regieanweisungen hält; er erinnert an den meisterlichen Film Der Junge und der Reiher, in welchem der Vogel auch eine mythische Funktion einnimmt.