Fallhöhe
Die Fallhöhe im Leben des Modedesigners John Galliano ist enorm, fast nicht auszuhalten.
Aus der Familie eines strengen, ihn misshandelnden, spanischen Klempners mit einer modebewussten Britin im provinziellen Gibraltar über das Grau Londons zum Designstudium an einer Eliteschule katapultiert es den Künstler in kürzester Zeit in den Modeolymp Paris, Dior, 32 Kollektionen im Jahr, Alkohol, Drogen und nach Antisemitismus-Äußerungen im Suff ins Niemandsland von Reha und gesellschaftlicher Verachtung.
Vier Jahre später rappelt er sich wieder auf dank Menschen, die ihn immer geschätzt haben und die ihn nie und nimmer für einen Antisemiten halten würden. Sein Künstlertum und seine damit verbundene Wertschätzung und Achtung der Mitarbeiter werden von diesem Menschen zu sehr geschätzt, als dass sie es brach liegen lassen können.
Kate Moss lässt sich von ihm in dieser Wüstenzeit ihr Hochzeitskleid entwerfen. Der Verlag Condé Nast rehabilitiert ihn. Er arbeitet wieder in Paris.
Zu seinem Suchtexzessen dürfte der frühe Tod seines Mitarbeiters Steven Robinson beigetragen haben, der wie eine Brandschutzmauer um ihn ihm alles vom Hals gehalten hat, was nicht unbedingt von Galliano selbst erledigt werden musste.
Es gibt verschiedene herausragende Qualitäten in dieser Doku von Kevin Macdonald. Da sind selbstverständlich die Ausschnitte aus Galianos sensationellen Catwalks, da ist dieses extreme Gefälle im Leben des obsessiven Ausnahmekünstlers und da ist ein extra für diesen Film hergestelltes Interviews mit John Galliano, der offen, warmherzig und reflektiert über sein Leben spricht, richtig faszinierend.
Und sicher lässt einen der Film nachdenken über den Zusammenhang Alkohol, Sucht und Kontrollverlust. Wobei die Modebranche mit ihrem ungeheuren Druck dem Thema in die Arme spielt; das gibt sie auch zu.
Es erscheint jedenfalls so, dass die antisemitischen Äußerungen von John Galliano eher einem alkoholbedingten Krawallneed zuzuordnen wären; denn nichts in seinem übrigen Leben, zumindest wie es hier erzählt wird, lässt auf einen prinzipiellen Antisemitismus schließen, da ist er viel zu besessen von der Mode und den Möglichkeiten, die ihm Paris, Arnaut, Dior oder jetzt Margiela bieten.