Nah am Leben,
das bedeutet in diesem Film von Josef Hader, der mit Florian Kloibhofer und Hans Schmid das Drehbuch geschrieben hat, und der in Östereich in der Nähe von St. Pölten spielt, selbstverständlich Österreichisch gesprochen wird.
Nah am Leben, das heißt, dass es sich um eine übersichtliche Gemengelage handelt und man dafür besser und genauer hinschauen kann. Nah am Leben kann aber vorerst, wie die Eingangsszene zeigt, auch bedeuten, dass zwei Polizisten, Andrea (Birgit Minichmayr) und Georg (Thomas Schubert) lange an einem Stück Landstraße hinter eine Kuppel stehen und darauf warten, Autofahrer mit Geschwindigkeitsüberschreitung zu erwischen. Da bleibt viel Zeit für Gespräch.
Nah am Leben ist das Thema, der Kollege will seinen runden Geburtstag feiern und diskutiert mit der Kollegin, wie teuer das werden wird und das kommt darauf an, wieviel getrunken wird und da kommt so einiges zusammen. Aber ein runder Geburtstag wird auch nur alle zehn Jahre gefeiert.
Der Film springt dann zur Geburtstagsfeier. Der Zuschauer erfährt mehr, dass Andrea in Scheidung lebt, dass sie mit ihrem Mann Andy (Thomas Stipsits) bei dessen Mutter wohnen. Dass das wohl ein unbefriedigender Zustand ist.
Nah am Leben in der Provinz, selbst in St. Pölten wird es nicht unübersichtlicher. Andrea lässt sich dorthin versetzen und beschleunigt diesen Vorgang. Aber auch dort scheint es nur diese Dienstwohnung direkt am Bahnhof zu geben und den neuen Chef, der ihr ganz klar Avancen macht.
Josef Hader selbst spielt mit, einen alten Lehrer, der vielleicht gar nicht mehr autofahren sollte und der bereitwillig die Schuld für einen Toten auf der Landstraße, den er gar nicht ursächlich überfahren hat, auf sich nimmt. Auch er ist eine einsame Provinzfigur.
Nah am Leben heißt vielleicht, dass der Autor und Filmemacher etwas sucht, was die Menschen womöglich auch suchen, Glück, Zufriedenheit, Erfüllung, die sie aber bei weitem nicht finden können, nicht in der Provinz finden können, weil sie womöglich alle eine Schuld mit sich rumtragen, weil sie Menschen sind, die Fehler machen, ja schauderhafte Fehler machen und dann damit rumlaufen und damit leben müssen.
Nah am Leben heißt, dass hier ein Leben gezeichnet wird, das sich in keinster Weise irgendwo anbiedern zu müssen glaubt, das in keinster Weise das Gefühl hat, es möchte irgendwie begehrt und geliebt sein.
Josef Hader entdeckt in seinen Figuren ein Leben, das sich womöglich gar nicht vorstellen kann, dass es ein anderes Leben auch gibt; dass der Mensch Gestaltungsspielraum habe; und wenn, dann muss er, wie Andrea in St. Pölten, gewaltige Konzessionen dafür machen.
Sicher, es könnte sein, dass Josef Hader auch in einem Stadtteil einer Großstadt ein ähnliches Leben finden könnte; aber auf dem Land findet es sich vielleicht in Reinkultur, findet es sich ungestört vom Lärm der City.
Es ist allerdings auch ein Leben, das immer ganz nah an der Korruption steht. Man kennt sich. Und man möchte sich nicht auf die Füße treten. Also, die Verführung zur Korruption, die ist immer greifbar nah. Für solche Betrachtung des Menschen scheint die Benutzung des Dialektes unerlässlich und gar ein prägnantes Scheinwerferlicht auf diesen gar nicht so ungewöhnlichen Daseinszustand zu werfen.