Die Unschuld

Sind die Unschuldigen die Monster?

Hier findet Kore-eda Hirokazu (Shoplifters, Broker – Familie gesucht, Unsere kleine Schwester, Like Father – Like Son) zu filmerzählerischer Höchstform mit einem Triptichon, das ähnliche, gesellschaftlich-familiär-schulische Prozesse dreimal von verschiedenen Standpunkten aus erzählt.

Ausgangslage ist ein Hochhausbrand, der die Leute als Zuschauer zusammen- und zu Gedankenaustausch bringt. So auch die Witwe Saori (Sakura Ando), nach dem Tod ihres Mannes eine Helikopter-Mutter vom Halbwaisen Minato (Soya Kurokawa).

Dass Lehrer Hori (Eita Nagayama) Minato ein Monster mit Schweinehirn genannt und sogar tätlich angegangen habe, sorgt für nicht wenig Aufregung bei dessen Mutter, die der Schulleitung penetrant auf die Bude steigt, wobei die sprichwörtliche japanische Höflichkeit die Frechheit nicht leichter macht.

Allerdings ist Schulleiterin Fushimi (Yuko Tanaka) schlecht disponiert, weil eben ihr Enkel zu Tode gefahren worden ist, angeblich von ihrem Mann. Nebenbei kommt das Verhältnis zu Schulfreund Yori (Hinata Hiiragi) ins Spiel. Dieses wird erst im dritten Durchlauf der Geschichte stärker unter die Lupe genommen, samt dem gemeinsamen Lieblingsort.

Symbolstark spielt ein aufgelassener Eisenbahntunnel eine Rolle, der oft bei Regen, Wind, Sturm gezeigt wird, wohin sich Minato zurückzieht und schreit, er sei ein Monster. Mutter findet ihn dort.

Durch die verschiedenen Erzählperspektiven erhält der Zuschauer jedesmal neuen Einsichten zum anfangs doch recht einseitig geschilderten Sachverhalt. Es werden die Schicksale von Hori und der Schulleiterin stärker beleuchtet und stellen sich so auch wieder anders dar.

Es wird Momente geben, die an den Film Das Lehrerzimmer erinnern, und später solche, die an Close denken lassen; auch der Titel des Theaterstückes „Krankheit der Jugend“ drängt sich momentweise in den Assoziationsbereich, obwohl es dort um eine ältere Jugend geht.

Beeindruckend sind die Wohnverhältnisse von Minato und seiner Mutter: eine enge, vollgestopfte Wohnung, wie manche Schulräume mit Unterrrichtsutensilien.

Wunderbar ist die Erzählweise von Kore-eda Hirokazu, er stellt die Szenen nie aus, er mischt sich fast wie mit geheimer Kamera mitten hinein, was sich für den Zuschauer soghaft auswirkt und ihm große Aufmerksamkeit, die sich lohnt, abfordert; ist aber auch nicht so direkt subjektiv wie die Dardenne-Brüder, nicht so offensichtlich auf dokumentarisch gemacht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert