Ein auf Unterkomplexität reduziertes Bild austauschbarer Alltagsmenschen,
wie weisungsgebundene Filmförderer und ÖRR-TV-Redakteure es vertreten können, dominiert diesen Film von Georg Mass, der mit Judith Kaufmann die Regie geführt und mit Michael Gutmann das Drehbuch nach dem Roman von Michael Kumpfmüller geschrieben hat.
Die Protagonisten sind Franz Kafka (Sabin Tambrea) und Dora Diamant (Henriette Confurius), die zum deutschen Literaturkanon gehören wie die Jünger Christi zum Neuen Testament. Da der Film zwischen peinliche Alltagsdialoge immer wieder Kafka-Zitate einschiebt (sei es in der direkten Rede, sei es im Schreiben oder Lesen von Briefen), wird das deutsche Kulturvolk glückselig die rosa Kafkabrille aufsetzen und mit den beiden aus der Nähkästchenperspektive das letzte Jahr seines Lebens und das erste und einzige Jahr ihrer Bekanntschaft und Beziehung aus nächster Nähe mitverfolgen dürfen.
Der Zuschauer wird dabei sein, wie sie Wäsche aufhängt, wie er oder sie den Holzofen in der Berliner Absteige von Kafka heizen oder die stiebende Asche entleeren, er wird Zeuge, wie Dora besorgt nach Prag telefoniert, da Franz immer kränker wird mit seiner Tuberkulose und das Geld für den Arzt fehlt. Dem Zuschauer wird hautnah gezeigt, wie Kafka den Zug von Prag nach Berlin nimmt, wie er mit zwei Koffern seine neue Adresse sucht, beim Empfang durch die Vermieterin.
Der Zuschauer darf Zeuge werden, wie Kafka am Ostseestrand das erste Mal Dora begegnet, wie er Kindern die böse Geschichte von der gefangenen Maus erzählt, wie er mit einem Motorrad angebraust kommt.
Es ist ein Biopic der Nacherfindung von Situationen, so wie Gretechen Müller sich deutschen Alltag ausdenkt, das kann schon mal Sätze zeitigen, wie, dass jemand keinen Hunger mehr habe oder dass noch etwas Essen drin sei und dergleichen, was ja nun alles nicht urtypisch Kafka sein muss.
Es gab neulich das Biopic über Munch, ein debattierenswerter Film, der radikal nur auf die psychischen Abgründe des Malers abzielt. Auf derlei wird hier vollkommen verzichtet. Der Film geht nicht über Klatschspalten-Kontent hinaus, lediglich verbrämt mit Zitaten aus dem Werk Kafkas. Solche simpel gezeichneten Menschen mit Totalverzicht auf Blick in die Abgründe, sind auch für die Schauspieler schlecht zu spielen.
Zum Vergleich könnte auch das dokumentarische Biopic über Joan Baez – I am a Noise hinzugezogen werden, das keine Zeit für Klatschspaltenthematik hat oder nur ganz nebenbei vor lauter Blicken in die Abgründe. Solcher Blick verleiht den Figuren Geheimnis, worauf sie bei Georg Maas und weiteren Mitverantwortlichen verzichten müssen; es bleibt ihnen nur prononciert professionelles Acting, was über die Fachwelt hinaus kaum interessieren dürfte. Hinzu kommt die offensichtliche Nichtanwesenheit jeglicher cineastischer Begeisterung. So verkommt das literarische Biopic zur einfältigen, ungelenken Illustration.