Das verbotene Weltkulturerbe
Der Capital Complex von Chandigarh in Indien ist zur Zeit nicht öffentlich zugänglich, sondern nur mit geführten Gruppen. Er ist das Herzstück dieser aus dem Boden gestampften Verwaltungs- und Gartenstadt.
Der Auftrag zu deren Planung erging 1947 an den europäischen Architekten Le Corbusier. Er entwarf eine Stadt aus Garten und Beton mit viel Raum für den Menschen, eine Fußgängerstadt, in der kein Weg in mehr als 45 Minuten zu bewältigen ist, eine offene Stadt, eine Stadt der Utopie, eine Stadt, in der die Bäume geschützt sind.
Eine Stadt, die nach rechtwinkligen Mustern angelegt ist, in der verschiedene Sektoren durch verschiedene Blütenfarben charakterisiert werden.
Für diese Stadt erließ Le Corbusier das „Edikt von Chandigarh“. Dies erweist sich als Fluch und Segen zugleich, denn es sorgt dafür, dass die Stadt sich nicht entwickeln kann, es schreibt den Original-Zustand mit den Parks, mit den verschiedenen Häusertypen, mit den Verkehrswegen und Parkplätzen fest, verunmöglichst so aber auch eine Nachverdichtung.
Das macht die Stadt mit steigendem Bevölkerungsdruck in Indien (jedes Jahr würde Indien um die Bevölkerung Australiens größer, ca. 20 Millionen!) attraktiv, die Immobilien kaum mehr bezahlbar. Es führte aber auch dazu, dass um die Stadt herum Slums entstehen einerseits und Megaboomstädte mit Wolkenkratzern andererseits. Erschwerend kommt hinzu, dass Beton, kein Baumaterial für die Ewigkeit, anfängt zu bröseln.
Thomas Karrer und Karin Bucher, die unter Mitarbeit von Valerie Knill auch für das Drehuch zeichnet, haben sich in Chandigarh umgesehen. Sie haben in Archivmatrial gestöbert und sich mit Stadtaktivisten, mit Architekten, mit Juristen und Künstlern, die in Chandigarh leben, unterhalten, haben Drohnen über die Stadt, die Wohnquartiere und den Central Complex fliegen lassen, haben sich in den Verkehrsstrom begeben.
Der Begriff des Brutalismus wegen dem teils dicken Beton kommt vor und lässt eine Schnittmenge zu jener Architektur Argentiniens erkennen, die Heinz Emigholz in Schlachthöfe der Moderne beschreibt.
Der Film über den indischen Architekten BV Doshi Das Versprechen BV Doshi hängt unmittelbar mit Chandigarh zusammen, war BV Doshi doch einer jener Architekten, die bei Le Corbusier gelernt hatten und das Projekt für ihn vor Ort überwachten, denn der Europäer war jährlich nur wenige Monate in Indien unterwegs. Den Rest besorgte teils sein Cousin, vor allem aber indische Architekten.
Positiv ist zu hören, dass Künstler sich hier freier fühlen als anderswo; aber der Film macht auch klar, dass eine Utopie sich wohl nicht festschreiben lässt, dass auch Städte sich dem Wandel der Menschen anpassen müssen. Wobei Chandigarh nur minimale Spielräume lässt.
Die Grundidee der Stadt konzentrierte Le Corbusier im „Denkmal der offenen Hand“, das wie eine Friedenstaube gesehen werden kann und als Symbol steht sowohl für Geben als auch für Nehmen; was sich wiederum in der Interkulturalität der Stadt ausdrückt, die die Filmemacher mit ein paar in den Film montierten Folkloreschnipseln zusätzlich zum Ausdruck bringen.