Knast macht die Menschen nicht besser.
18 Minuten lässt sich dieser Tatort von Thomas Stiller unter redaktioneller Verantwortung von Cornelius Conrad Zeit, die Atmosphäre in einer JVA zu schildern.
Man denkt momentweise an Ein Prophet, einen strafvollzugskritischen Film aus Frankreich von 2010, der gerade auch die Verbindung zwischen Knast, Verbrechen und Außenwelt hervorragned schildert.
Auch hier scheint der Tatort sich auf den Grundauftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zu besinnen, scheint gesellschaftliche Missstände in gut verdaulicher Krimiform zu ventilieren, hier das Thema Strafvollzug in der Bundesrepublik, kein Ruhmesblatt.
Geradezu grotesk, wie Häftling Dieter Scholz (Carlo Ljubek), der einen Tag vor seiner Freilassung steht, behauptet, dank einem Buch über Ikigai, das er in der Bibliothek gefunden hat, ein besserer Mensch geworden zu sein.
Kommissar Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) ist zurecht skeptisch, auch wegen dem Thema Kindsmissbrauch, das bei diesem Gefangenen mitschwingt. Dessen Bub Ferdinand (Phileas Heyblom), ein Pianowunderkinder, das über die Knastzeit seines Vaters bei gut kulturbürgerlichen Pflegeeltern unterkommt (Sarah Bauerett und Lasse Myhr), die ihm alle nötigen Vorausssetzungen für die Talententwicklung bieten, will deshalb auch nicht zu seinem Vater zurück.
Hierzu fällt einem der Film Silent Girl ein. Das fällt angenehm auf bei diesem Tatort, dass er sich so viel Zeit für die Exposition nimmt, die das Milieu schildert, in dem der Mord passieren wird, der die Kommissare auf den Plan ruft.
Bis dahin hat man viel Personal kennengelernt, das mindestens mit Mordphantasien kein Problem hat und das auch Gründe hätte, einen Mord zu begehen. Der Mord selbst wird so geschildert, in der Dusche, dass der Zuschauer nicht sehen kann, wer der Täter ist.
Es sind lauter Figuren, die in Zwischenwelten zwischen Gut und Böse leben und agieren, am deutlichsten wird das bei der Gefängniswärterin Bremmer (Jule Ronstedt), aber bei weitem nicht nur bei ihr.
Der Film lugt sanft in den Dunstkreis der alltäglichen Korruption in so einem Knast, die auch plausibel wird durch die Routinen. Trotzdem gefährdet er das Tatortsystem in keiner Weise, ja er scheint es geradezu positiv für die Folge zu nutzen; und er findet noch Zeit, für diskretes Product-Placement zumindest, was den Dienstwagen der beiden Kommissare betrifft, hier scheint ein Sponsorenwechsel von BMW zu Mercedes stattgefunden zu haben.
Die Frage ist, ob das Drehbuch des Kniffes wirklich bedurft hätte, dass Ferdinand ein Wunderkind ist; ob nicht ein ganz normales Kind, wie in The quiet Girl genügt hätte, ob dann der Tatort nicht noch stärker geworden wäre. Die Wunderkind-Erfindung ist augenfällig wenig plausibel. Verbrechersohn als Wunderkind. Hm.
Angenehm auch die ruhige Erzähltart, die nicht unter TV-Asthma leidet, also der panischen Angst vorm Wegzappen der Zuschauer – vielleicht bleiben diese so sogar eher dabei.