Poor Things

Brillant-groteske Recherche nach dem Humanen
in einer fucked-up Spezies

Yorgos Lanthimos (The Killing of a Sacred Deer, The Lobster, The Favorite – Intrigen und Irrsinn), der hier nach dem Drehbuch von Tony McNamara und Alasdair Gray inszeniert, kann nicht genug bekommen von der Fischauengkamera und von skurrilst ausgestatteten Räumen. Allein dieser visuelle Eindruck fesselt den Zuschauer, beamt ihn in eine völlig andere Welt, in eine Welt der exzessiven Suche nach dem Humanen, nach dem, was den Menschen ausmacht, nach dem, was ihn von Mechanik oder auch KI oder Manipulation von außen unterscheidet.

Emma Stone als Bella Baxter ist eine Coppelia-Variante (Coppelia). Sie ist eine menschlich sein sollende Rekonstruktion durch den Dr. Godwin Baxter, Willem Dafoe mit herrlich zugenähtem Gesicht. Der ist ein skurpelloser Experimentator, scharf auf Leichen, hier wird er einer Wasserleiche habhaft, eine Schwangere, die sich von einer Brücke gestürzt hat. Das lebendige Hirn des toten Babys soll die Tote beleben.

Dr. Baxter zieht sich den guten Assistenten Max McCandles (Ramy Youssef) heran, der sich besonders um Bella kümmern soll. Es ist fantastisch, mit welch puppenhaftem Gang Emma Stone dieser Figur die gewisse Künstlichkeit verleiht, diese gewisse Differenz zur sogenannten Natürlichkeit, die hier nie zum Thema wird. Sie wächst erst tolpatschig und systemsprengerisch und möglichst abgeschieden in die menschliche Gesellschaft hinein. Bei Max werden erste Gefühle spürbar.

Die Education eines Menschen, das ist auch so ein Thema. Dann läuft Bella Duncan Wedderburn (Mark Ruffalo) über den Weg. Mit ihm geht es los um die Welt, Lissabon, eine Schiffspassage, Alexandria, Paris, London.

Der Titel „armes Ding“ trifft voll auf dieses Frauenwesen zu, bei dem immer die Frage ist, wo ist der Unterschied zur Schablone, wie weit ist sie nur Sexobjekt, wie weit ist sie überhaupt was wert.

Bella lernt schnell. Auf dem Schiff trifft sie auf die wundervolle Hanna Schygulla als Martha von Kurtzroc. Bella taucht in mondäne Lebewelten ein, schmatzt anfangs höchst unanständig, fällt auf, wird begehrt, Reichtum ist selbstverständlich und die Ausstattung hat ihren größten Spaß daran, dies zu schildern, inklusive eines Seitenblicks auf das Ghetto in Alexandria und damit dem Erwachsen sozialer Gefühle in Bella. Das führt sie zu einer Tat ohne Gewissen, die aber dem Gewissen entsprungen scheint.

Noch wertloser wird das arme Ding in Paris. Aber Geld gegen Sex ist nicht das übelste, was ihr passieren kann. In London schließen sich die Kreise und werden noch die letzten Geheimnisse der Story gelüftet.

Man verlässt das Kino und versucht erst Boden unter den Füßen zu gewinnen, nach dieser atemberaubend erschütternden Recherche nach dem Humanen in einer fucked-up Spezies. Vielleicht ist das Leben ja auch nur ein verrückter Tanz, wie derjenige, vollkommen schräg, den es auf dem Schiff zu sehen gibt, ja, im Grunde genommen wie auf einem Vulkan.

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