15 Jahre

Das deutsche Gefühlskino

erzählt lustvoll im Entertainment-Segment mit fett Schmalz die schaurige Moritat von Widersprüchlichkeit und Interdependenz von Barbarei und Hochkultur, zeichnet das Bild einer Welt, an der man verzweifeln möchte und wie Hochbegabung vor die Hunde gehen kann.

15 Jahre sind es zwischen der Wunderkindzeit der Pianistin Jenny (Hanna Herzsprung) und der Zeit, die sie bei einem christlichen Therapiereinigungsdienst mit Adele Neuhauser als fürsorglich-pragmatischer Chefin verbringt.

Der Hintergrund für diese Tätigkeit wird schnell gelüftet. Jenny war ein Wunderkind. Ein Verbrechen, was später erst dem Zuschauer offenbart wird, bringt sie für 15 Jahre in den Knast.

Verblüffend an diesem Film von Chris Kraus (Die Blumen von gestern) ist der Eindruck der ungeschminkten Frauen, die in keiner Weise ihr Alter zu verstecken versuchen (Gesprächskreis). Ein neuer Realismus im deutschen Kino? Das dann doch nicht so ganz; im Laufe des Filmes kommt mehr Schminke ins Spiel.

Das liegt auch am Drehbuch, ebenfalls von Chris Kraus. Dieses hat als ein zentrales Element die TV-Rührshow „Unicorn“, die von Albert Schuch als „Gimmemore“ präsentiert wird. Sie lebt davon, Minderbemittelte, Behinderte, Schizophrene, Außenseiter ins Rampenlicht zu pushen und mit einer dämlichen Jury zu hypen. Wer gut ist, erhält ein Horn. Dann leuchtet eine spitz zulaufende Lampensäule grün auf. Medienkritisch/satirische Behandlung des Themas „Deutschland sucht den Supestar“.

Der Weg der Resozialisierung von Jenny ist mit Hindernissen und mit Alkohol gepflastert. Hanna Herzsprung spielt eine Frau, die eine Systemsprengerin ist, die Ausfälle hat, keinen Benimm und schnell mal dem Ansehen des Reinigungsdienstes schadet.

Zwei Dinge sollten für Jenny tabu sein: der Alkohol und jeglicher Kontakt zur Musikbranche. Böser dramaturgischer Einfall: der Reinigungsdienst ist für das Musikkonservatorium zuständig. Es gab da schon mal einen Film, der von einem Starpianisten handelte, der im Konservatorium in Wien als Hausmeister arbeitete: Wie ein Blitz vom Weihnachtshimmel und kürzlich gabs die Doku über eine urplötzlich von der Bühne verschwundene Sängerin aus Spanien: La Singla.

Erwartbar kann das ehemalige Wunderkind nicht an sich halten, wie es auf einer staubigen Bühne putzen soll, und eine ihrer Ansicht nach mittelmäßig begabte Studentin sich an Schubert vergeht. Der Funke zwischen ihr und der Musikwelt ist übergesprungen; jetzt gibt es kein Halten mehr.

Die Entwicklungen führen – mit massiven Widerständen im Getriebe – dazu, dass Jenny mit einem syrischen Pianisten in der Talentshow Unicorns auftreten soll. Hier entsteht auch der Nexus zwischen Hochkultur und Barbarei. Dem Syrer Omar (Hassan Akkouch) hat die ISIS einen Arm abgehackt, weil er sich erlaubt hat, in den Ruinen Klavier zu spielen. Dazu gibt es Archivmaterial. Auch über einen solchen Pianisten, der im Flüchtlingslager Klavier spielt, gibt es eine Doku.

Besonders gefährlich für Jenny wird es, wie sie erkennt, dass der Moderator der Show der Mann ist, wegen dem sie ins Gefängnis musste. Er selbst wiederum wird just an dem Tag, an dem sich die beiden wiederbegegnen, von einem Schicksalsschlag getroffen.

Es sind schauderliche Geschichten und Schicksale, die Chris Kraus aufeinandertreffen und mit zynischem Blick vor unseren Augen ablaufen lässt; was es besonders für Hannah Herzsprung schwierig macht, ein realistisches Schicksal darzustellen; denn der Filmemacher interessiert sich nicht für die Psychologie, für das Einzelschicksal als solches, er interessiert sich mehr dafür, wie Menschen in den Welten zwischen Hochkultur, Barbarei und modernem Medienentertainment hin- und hergewirbelt und auch zermampft werden.

Der Film selbst zitiert das Thema „Die Schöne und das Biest“. Insofern dominiert der Moritaten- oder Balladeneindruck, wobei Chris Kraus selbst bestimmt das Etikett nicht benutzen würde, denn er fängt den Film mit einem ernsthaften Zitat von Jack Kornfield an zum Thema Vergebung, die jede Hoffnung auf eine bessere Vergangenheit aufgebe. So würde ein Bänkelsänger seinen Vortrag eher nicht anfangen.

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