Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry

Ethisch motiviertes Roadmovie als schönes, britisches Kino mit prima Protagonisten

Jim Broadbent ist der faszinierende Darsteller der Protagonisten-Rolle des Harold Fry. Längst ist er Rentner, lebt sein betuliches Leben mit seiner Frau Maureen (Penelope Wilton) in einem extrem spießig eingerichteten und staub- wie wohl überhaupt recht lebensfrei organisierten Haus in einer entsprechend sterilen Siedlung. Ein Ausbruch aus so einem Quartier kommt einem Vulkanausbruch oder einer Revolution gleich.

Einzig Nachbar Rex (Joseph Mydell) bringt etwas Farbe in das Quartier; aber nicht mal fürn Rassimus ist diese Farbe gut.

Harold erhält eines Tages einen Brief von einer Queenie (Linda Bassett). Sie sei schwer krank und läge in einem Hospiz etwa 500 Kilometer nördlich. Harold tut sich schwer, eine Antwort zu schreiben, sehr schwer, sie bleibt dürr; er steckt sie in einen Briefumschlag und will diesen nur schnell zur Post bringen. Daraus wird ein Überraschungsfußmarsch von mehr als zwei Monaten. Der ist auch klar motiviert: er will dadurch Queenie am Leben erhalten.

Der Film erinnert an Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand oder an den anderen britischen Film Der Engländer, der in den Bus stieg und bis ans Ende der Welt fuhr.

Was die Protagonisten dieser Filme verbindet, ist deren hohes Alter und der unerklärliche und plötzliche Aufbruch. Was Harold Fry unterscheidet, ist, dass er, das wird sich gegen Ende des Filmes klären, eine tiefe moralische Verpflichtung fühlt, diesen Fußmarsch zu machen. Zwischendrin wird er sogar zum Medienstar, lässt den Rummel aber hinter sich.

Der Film von Hettie MacDonald nach dem Drehbuch von Rachel Joyce arbeitet mit Rückblenden. Die Reise selber ist geprägt von tief humanen Begegnungen; vielleicht nicht ganz so sozialkritisch wie beim Engländer, der in den Bus stieg. Das Thema des schlechten Gewissens, der Schuld und der Reinigung ist dafür dominanter. Es wird umso gewichtiger, als es auch eine unerledigte Geschichte mit einem Sohn gibt, der einen frühen Tod fand. So wie nebenbei wirft der Film ein nicht unbedingt erquickliches Licht auf die spießigen Lebensverhältnisse in den geordneten Welten der Einfamilienhäuser. Der Film ist mehr Heilungsfilm denn Soziodram wie zum Beispiel die Filme von Ken Loach.

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