Der Mann, das wilde Tier und die Familie
Im Ungewissen über den Horror
Das ist das Prickelnde an diesem Film von Christian Tafdrup, dass man lange Zeit nicht weiß, ist man jetzt in einem Familien- oder in einem Horrorfilm.
Die Musik spielt eine eindeutige Sprache, die kündigt den Horror gleich in der ersten Sequenz an, ganz fürchterlichen Horror sogar.
Aber die Bilder und Szenen erzählen von ungetrübtem Familienglück. Von unbeschwertem Familienurlaub in Italien. Und später die Möglichkeit, ob der Horror vielleicht selber erzeugt sei.
Fest steht, Holländer und Dänen haben viele Gemeinsamkeiten. So wundert es nicht, wenn eine holländische Familie sich mit einer dänischen Familie anfreunden will. Sie lernen sich beim Familienurlaub in einem Hotel in Italien kennen, in dem die Gäste gemeinsam an einem Tisch essen.
Aus Dänemark sind es Björn (Morten Burian) und Louise (Sidsel Siem Koch) mit ihrem entzückenden Töchterchen Agnes (Liva Forsberg) und aus Holland sind es Patrick (Fedja von Huêt) und Karin (Karina Smulders) mit dem etwas eigenartigen Sohn Abel (Marius Damslev). Die Holländer entschuldigen sich für ihre verspätete nächtliche Ankunft.
Patrick ist die treibende Kraft in der Annäherung der beiden Familien. Auf der dänischen Seite ist Björn der Verführbare, der Offene. Ihn packt Patrick, ihm macht Patrick seine Gefühle von Gefangenschaft innerhalb der Familie bewusst. Er lockt in Björn das Wilde Tier hervor, das wohl eingeschlafen ist. Dieser Storystrang ist die stärkste Ablenkung vom Horror, der im Hintergrund dräut.
Skeptischer ist Louise, sie hat wohl den stärkeren Instinkt für Gefahr. Trotzdem nehmen sie die Einladung des holländischen Paares an, sie in Holland zu besuchen, sind ja nur ein paar Stunden Fahrt mit Auto und Fähre.
Jetzt fängt auch die Bildsprache an, an Horroroptik zu erinnern, wenn auch höchst subtil, aber das großzügige Holzhaus umgeben von Bäumen, diese vielen Baumstämme, erwecken schon sehr die Assoziation an ein Horrorhaus.
Der Zuschauer ist aber trotzdem vielleicht mehr damit beschäftigt, sich zu fragen, wie leicht denn so eine oder wie schwierig Anfreundung von zwei Familien sei, weil sie ja ein komplexes Gebilde von Abhängigkeiten und Beziehungen bereits ist und wie weit zwei solche Organismen zusammenkommen können.
Ein paar Antworten darauf liefert der Film, auch diese als Ablenkungsmanöver von der Horrorintention. Es kommt zu Missverständnissen, die an Flucht denken lassen, die aber auch noch geklärt werden, wodurch sich die Situation noch mehr vom Horror in eine Normalität hin entfernt.
Es heißt ja, wenn man etwas genau anschauen wolle, so könne es hilfreich sei, nicht exakt dorthin zu starren, sondern leicht daneben. Genau das scheint diesem Film meisterlich zu gelingen, mit der Alarmlampe „Achtung Horror“ die Konzentration auf das nicht immer unproblematische Konstrukt Familie zu lenken.