Die Mittagsfrau

Dramaturgie-Slalom

Der Film fängt mit einer irritierenden Geste in der einführenden Szene an. Es dürften geschätzt die 50er Jahre auf einem deutschen Bauernhof sein. Eine städtisch anmutende Dame taucht auf. Der alte Bauer schreit nach einem Peter.

Die Dame betritt die Stube und jetzt folgt die irritierende Geste des alten Bauern, er weist ihr stumm mit der Hand einen Platz an. Das wirkt total befremdlich, als wolle die Filmemachrin uns sagen, verlasst euch nicht auf die Genres, die wir hier vorgeblich behaupten.

Die Filmemacherin, das ist Barbara Albert, die mit Meike Hauck auch das Drehbuch nach dem Roman von Julia Franck geschrieben hat. In der exponierenden Szene wird das Thema der Mittagsfrau direkt angesprochen. Es handelt sich dabei um eine slawische Sagengestalt.

Der Film springt jetzt ein undefinierbare Anzahl von Jahren zurück. Er macht Station bei einer Familie mit drei aufblühenden Töchtern auf dem Land, wunderbare Dastellerinnen, – nicht diese oft harten Deutschen – Male Emde als Helen, Liliane Amuat als Martha und Laura Louisa Garde als Leontine.

Der Film erweckt vorerst den Eindruck, eine Familiengeschichte erzählen zu wollen und blendet vor allem mit superb besetzten Gewerken, wie die Kamera abeitet, der Schnitt, die Regie, die Ausstattung das fast quadratische Filmformat, die Körnung, die herrlich einen auf alt macht. Verführerisch.

Die jungen Mädels sind im verführerischsten Alter. Sie machen Doktorspiele, immer am Rande des Erotischen. Eine möchte Medizin studieren. Sie träumen von der Stadt. Leontine schafft es als erste; die beiden anderen ziehen nach.

Der Film arabeitet gerne mit Vergeheimnissung. So wird erst allmählich klar, dass mit der Stadt das Berlin der Roaring Twenties gemeint ist (einmal wird auch die Inflation angesprochen).

Die Location ist ein Stadthaus konsequent im Jugendstil eingerichtet und die sorglose Jugend darin ebenso angezogen. Helene rückt jetzt in den Mittelpunkt. Sie will studieren und kann sich in einer Apotheke ein Geld verdienen.

Hier lernt sie den Kunden Karl (Thoas Prenn) kennen. Der Film wandelt sich zur klassischen Liebesgeschichte. Man ist als Zuschauer glücklich, dass die Deutschen sich sowas trauen, bemerkt aber gleichzeitig, dass diese Liebesgeschichte irgendwie recht altbacken wirkt.

Das braune Zeitcolorit fängt an, in den Film hineinzufärben und er gibt auch preis, was er uns bis jetzt vorenthalten hat, dass die jungen Frauen Jüdinnen sind.

Ab dem Zeitpunkt nach etwa einer Stunde Spieldauer macht der Film dramaturgisch den nächsten Schlenker, schwenkt voll ein in die Kurve der Massen an Holocaust-Aufarbeitungs-Subventionsfilmen.

Es schleicht sich eine gewisse Enttäuschung ein, so sehr Wilhelm (Max von der Groeben) als deutscher Wehrmachtsoffizier Helene ins Visier nimmt. Sie heißt jetzt Alice in dieser weiteren Liebesgeschichte, die sich kaum von jedem Melodram unterscheidet; es sind die Zeitumstände, die Widrigkeiten mit sich bringen und diese Liebesgeschichte nicht glücklich ausgehen lassen können.

Der letzte dramaturgische Schwenk erfolgt am Schluss, da muss das Bündel mit Rückgriff auf die Anfangsszene geschnürt werden. Immerhin, großes Plus, der Film kommt ohne Propagandabilder vom Führer, seiner Clique und seinen Aufmärschen aus und auch ohne das übliche Kostümfundusgrau.

Meine Enttäuschung mit diesem Film rührt vermutlich daher, dass ein deutscher Film sich einmal mehr nicht traut, eine Hauptfigur wirklich ins Zentrum zu stellen, als solche – ein Defizit, was mir der Nazizeit geschuldet scheint: seither hat Deutschland die Nase voll von Superstars. Und das soll auch nie wieder passieren, auch wenn das deutsche Kino damit ein ums andere Mal auf die Nase fällt und sich dann verwundert Augen reibt, warum ein Film nicht so richtig läuft im Kino, wo doch alles so korrekt gedacht war.

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