Voll ins Leben – La Vie pour de vrai

Leiser Komiker

Dany Boon ist ein leiser Komiker, nicht einer von der Sorte mit dem Tortenwerfen und auch nicht einer fürs Schenkelklopfen. Er erfindet, um unsere moderne Gesellschaft mit leicht skeptischem Blick zu betrachten und nicht einfach blind mitzulaufen, als Autor und Regisseur für sich selbst die Hauptfigur Tridan Lagache.

Vielleicht hat ihn Jacques Tati dazu inspieriert, wie dieser in Playtime weltfremd wie weltzuzgewandt und menschlich anrührend zugleich durch die moderne Stadt sich bewegt. Um das plausibel zu machen, erfindet Dany Boon für Tridan eine ungewöhnliche Biographie.

Tridan ist vor 50 Jahren in einem Club Mediterranee in Mexiko zur Welt gekommen und hat bis heute dort gelebt. Das bedeutet auch, er musste nie für etwas bezahlen und er ist immer barfuß herumgelaufen, hatte nie Schuhe an, war immer freundlich zu den Menschen, wollte später als Entertainer gute Stimmung unter ihnen verbreiten.

Eine Kindheitstrauma, das sich dabei entwickelt hat, waren die ständige Abschiede von neu gewonnen Freunden, die nach dem Urlaub mit dem Bus wieder abreisen.

Total verliebt war Tridan in ein Mädchen, Violette, aus Paris. Er selber ist Franzose. Das kann allerdings die Ohrenschmerzen verursachende deutsche Synchro nicht rüberbringen. Er entscheidet sich, dieses Mädchen in Paris zu suchen und macht so seine erste Flugreise überhaupt.

Seine Mutter gibt ihm den Wohnungsschlüssel für eine Wohnung seines längst verstorbenen Vaters mit. Das muss man einfach schlucken als Zuschauer, auch dass nicht unbedingt plausibel ist, dass so eine Wohnung nach 50 Jahren noch für einen Schlüsselinhaber zur Verfügung stehen würde. Sie tut es aber, das kann verraten werden, er findet darin einen anderen großen französischen Schauspieler, Kad Merad als sein Halbbruder Louis, der selbst in prekären Verhältnissen lebt, mit Uberfahren versucht, seinen Schuldenberg abzutragen.

Louis wiederum bringt sein Tinderverhältnis (auch wenn die Internet-Anbandel-Platform anders heißt) Roxane (Charlotte Gainsbourg) dazu, für Tridan diese frühere Freundin zu spielen.

Somit ist ein solider Plot des Vorspielens und Lügens und der Gefühlsverwirrungen angelegt. Die Teilnahme von Charlotte Gainsbourg trägt sogar zur Plausibilisierung der Wohnungsgeschichte bei, denn in ihrem Film Jane by Charlotte, einer Dokumentation über ihre jüngst verstorbene Mutter, gehen die beiden Frauen in Paris in die Wohnung von Serge Gainsbourg, die offenbar jahrelang niemand betreten hat.

Die Geschichte erinnert in Ansätzen an den Film Past Lives, auch hier geht es um eine Liebe, die als Schulwegliebe angefangen hat und dann in Absentia nie vergessen wurde. Die Geschichte erzählt von einem Menschen, der bei aller Unzulänglichkeit, sein positives Menschenbild nie vergisst, der wundersame Dinge erlebt, aber nie knallig; auch die Nummer mit seinen ersten Schuhen wirkt fast eher unterspielt; Schuhe sind keine Selbstverständlichkeit für einen, der in einem Club Med aufgewachsen ist.

Insofern stellt der Film Selbstverständlichkeiten der modernen Gesellschaft in Frage, zum Beispiel das stumpfsinnige Vorsichhinstarren der Menschen in der U-Bahn. Oder Eigenschaften wie Sanftmut oder Zuhörenkönnen werden positiv herausgestellt. Genauso wie die Brüchigkeit menschlicher Beziehungen und sowieso die Abhängigkeit vom Materiellen.

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