Die Linie

Eine gewalttätige Frau –
100 Meter

sind der gerichtlich verordnete Mindestabstand, den Margaret (Stéphanie Blanchoud) zu ihrer Mutter (Valeria Bruni Tedeschi) einhalten muss, damit das enorme Konfliktpotential zwischen den beiden künstlerisch veranlagten Frauen nicht mit nackter Gewalt eskaliert, wie Ursula Meier in ihrem Film in der Eingangsequenz und in Zeitlaupe atemberaubend schildert.

Das Drehbuch stammt von Stéphanie Blanchoud, Robin Campillo, Antoine Jaccoud; es darf davon ausgegangen werden, dass durchaus eigene Erfahrungen und Beobachtungen die Grundlage geliefert haben.

Das kleine Vorstadt-Häuschen, der Bungalow, das gediegene Haus auf dem Land als Brutstätte familiärer Gewalt, war zuletzt zu sehen in Der Gymnasiast oder ab nächste Woche im Kino in „All the Beautiful and the Bloodshed“.

Es geht Ursula Meier nicht um eine Analyse des Konfliktes, sondern um die Frage des Umganges mit so einer unversöhnlichen Situqtion. Denn Margaret kann von der Mutter nicht lassen, sie sucht Gehör, Verständnis, wohl auch Anerkennung; sie ist schon als Sängerin aufgetreten; Mutter war eine Pianistin, die immerhin CDs rausgebracht hat als Louise Celestini.

Die Mutter wohnt mit der jüngeren Tochter Marion (Elli Spagnolo) in einem hübschen Bungalow am Rande einer Ortschaft in der Rhoneebene in der Schweiz, nah an den Bergen. Der Hysterie-Status zwischen Mutter und Margararet ist so, dass die kleinste Lebensäußerung der einen bereits zu Handgreiflichkeiten führen kann.

Margaret lässt sich auch durch die Drohung mit Gefängnis, wenn sie den 100-Meter-Bereich überschreitet, nicht abhalten. Bis zu dem Tag, an dem die kleiner Schwester mit blauer Farbe den Tabu-Bereich auf der Wiese vor dem Haus und der Straße weiter hinten malt.

Ab dem Moment bekommt es der Kinobesucher mit einem eingefrorenen Konflikt zu tun. Vielleicht verliebt sich die Regisseurin auch ein bisschen in die Bilder, die sich dadurch ergeben, dass Margaret sich malerisch auf einem kleinen Erdhügel hinter dem Tabukreis postiert, indem sie dort der kleinen Schwester Gesangsunterricht gibt.

Das Dramatik-Potential der Explosion bei einer direkten Begegnung ist somit vorerst stillgelegt. Es gibt auch andere Entwicklungen. Die Mutter hat einen feschen jungen Freund, Hervé (Dali Benssalah), die ältere Schwester (India Hair) bringt Zwillinge auf die Welt. Weihnachten steht vor der Tür. Und Margaret findet Unterschlupf bei Julien (Benjamin Biolay), einem verständnisvollen Mann, mit dem sie früher aufgetreten ist; auch findet sie einen Job als Parkhaus-Security.

Es gibt also kompensierende oder ablenkende Aktionen zu dem anfangs etablierten Konflikt, bei dem von Anfang an klar war, dass es sich um eine unversöhnliche Variante handeln dürfte, in Relation zu welcher der Mensch froh sein kann, wenn er oder sie einen lebbaren Umgang damit findet – weit entfernt von Friede, Freude, Eierkuchen.

Eine unerwartete Rolle spielt die Religiosität und damit im Zusammenhang auch der Begriff „vom Teufel gepackt“, der auf Margaret einmal verwandt wird.

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