Illustriertes Aktenstudium
KZ-Lagerkommandant Karl Koch ist zu Beginn des Prozesses, den Bernd Michael Lade als Autor, Regisseur und Protagonist schildert, bereits hingerichtet. Lade spielt vor einem amerikanischen Militärgericht den Ankläger Carl Schrade.
Angeklagt sind eine Reihe von Menschen, die nur mit Nummern kenntlich gemacht sind, für Verbrechen, die sie im KZ Buchenwald und im KZ Flossenbürg begonnen haben. Es sind Scheußlichkeiten, die es in sich haben und die zum Teil geschildert werden.
Der Film teilt allerdings weder im Vorspann noch im Abspann noch zwischendrin mit, ob es sich um einen fiktionalen Prozess handelt, oder ob er sich auf Archivmaterial bezieht. Es gibt das Buch Elf Jahre.
Es ist ein hochkonzentrierter Dialog-Film in zwei Sprachen mit Dolmetschern. Jeder Satz auf Deutsch wird anschließend auf Englisch gesprochen und umgekehrt, ein Stilmittel, was anfänglich befremdlich wirkt, mit der Zeit aber als rezeptionsfreundlich empfunden werden kann.
Es gibt kinematographische Spielereien, um gegen die Eintönigkeit einer solchen Verhandlung in einem provisorisch hergerichteten Kellerraum entgegenzuwirken, von Schwarz/Weiß wird auf Farbe umgestellt.
Die hohe Konzentration spiegelt sich in der Ernsthaftigkeit der Zuhör-Attitüde, in leisesten Regungen, auch Entspannungsbewegungen, mal in einem Grinsen eines jungen GI, der dabeizustehen hat.
Die Sprache ist gedämpft bei erstklassiger Dialogregie. Ab und an wird unterschwellig ein kaum hörbarer Sound unterlegt, wobei das Bellen von Hunden beim entsprechenden Thema ein kleines too Much zu viel scheint genau so wie der Tränenausbruch der einen Dolmetscherin an einer besonders brutalen Stelle. Da wirkt es, als sehe sich der Film auf einer pädagogischen Mission.
Was der Prozess aufzeigt, ist, wie rational die Täter ihre Taten begründeten, mit den Umständen, mit dem Job oder wie sie es lieber auf den bereits gehenkten Kommandanten Karl Koch schieben.
Es ist ein KZ-Aufarbeitungsfilm der Sonderklasse, der viel Aufmerksamkeit verlangt, was als anstrengend empfunden werden kann in einer Zeit, in der unsere Aufmerksamkeitsspannen generell sich verkürzen durch die schnellen Infowechsel in den modernen Medien, wisch wisch und weg. Das geht hier gar nicht. Hier werden in ruhigem Ton Dinge geschildert, die man einerseits für menschenunmöglich hält, die andererseits wohl auf der bösen Seite der Natur des Menschen angelegt scheinen, denn solche Gräuel passieren immer wieder auch woanders, im Jugoslawien-Krieg soll es sie gegeben haben, zu schweigen von den Kriegsverbrechen der Russen in der Ukraine, von Iran und und und.
Der Film könnte vielleicht gesehen werden als eine erstklassige Facharbeit, ausgezeichnet montiert, als ein filmisches Hörspiel, als eine illustrierte Akteneinsicht, so als ob man in einer Bibliothek sich hochkonzentriert in einen anspruchsvollen Text vertieft, der irre Monstrositäten der Menschen offenbart.