Zero Gravity

Claus Boje

hat sich eine dreimonatige Auszeit vom deutschen Fernsehproduzentum genommen. Er will Japan während der Zeit der Kirschblüten vom Süden nach Norden auf dem Rennrad durchfahren.

Dass Boje es gewohnt ist, zu sagen wo es lang geht, wird anfangs klar, wie er dem Kameramann sagt, wo er hinzugehen habe. Durch den Dialog mit der Kamera entsteht eine zusätzliche Lebendigkeit, wird das Dokumentieren offen gelegt.

Es begleiten Boje viele Menschen etappenweise, Männer, Frauen, Kamermänner, Kamerafrauen.

Boje scheint ein begeisterter Japanfan zu sein und in der ersten Phase des Filmes ist ihm das Radprojekt gar nicht so wichtig. Wie in einem Poesiealbum blendet er immer wieder Haikus aus dem frühen 19. Jahrhundert ein. Ihn fasziniert die schwerelose japanische Weltsicht, die sich in der Architektur von Wohnhäusern und Gärten niederschlägt; es gibt die Begehung eines Onsen. Besonders hat Boje es die Wasserkunst angetan, wie trinkbares Regenwasser aufgefangen und abgeleitet wird, wie es so Klang erzeugt, wie es im Ryokan zum Heilungsort wird.

Hagami: just fly.

Der Film ist eine wundervolle Erkundung japanischer Natur, japanischer Mythen, japanischer Liebe. Und des offenen Verhältnisses zum Tod. Es gibt Entdeckungen: ein Ort, an dem Rehe und Affen zusammenleben und sich in der Beschaffung der Ernährung unterstützen. Boje bewundert die Garten- und Blumenarrangements bei einer industriellen Schnapsbrennerei. Über die mehr als perfekt deutsche sprechende Tochter eines Sumoringers gibt es intime Einblicke in diesen schweren Kampfsport, der vom Miteinander und der Leichtigkeit lebt, dem geschickten Einsatz der Kräfte.

Es gibt einen Besuch bei einer Art japanischer Brettlbühne, wo der Bär tanzt und „besame mucho“ gesungen wird. Kurzer Blick in eine Automatenspielhalle, dann in eine fast zuschauerleeres Radrennstadion; die Kämpfe würden vor allem für die Wetten ausgetragen.

Der Film ist schwungvoll montiert und musikalisch leicht untermalt. Das Radfahren wird erst in Richtung Fuji wichtig, mit anstrengenden Berg- und rasenden Passstraßentalfahrten. Immer wieder kommen die Kirschblüten vor, dazwischen versucht ein Deutscher Drachen fliegen zu lassen oder mit einem Pfiff durch einen Grashalm Adler anzulocken; beides gelingt nur bedingt.

Die größte Überraschung ist gleich zu Beginn, wenn man vorher den Titel unter IMDb nachgeschaut hat: es gibt einen Film gleichen Titels, ebenfalls von 2021: das ist eine Dokumentation über amerikanische Studenten, die sich mit der Raumfahrt befassen. Dann doch lieber in Japan unter Kirschblüten radeln.

Haikus

INTO THE MISTY FIELD
LET’S GO!
REFRESHING OUR SOULS

oder

CHERRY BLOSSOM
ON THE SPRING MOUNTAIN
ANOTHER HOT WATER.

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