Nelly & Nadine

Große Liebesgeschichte

Im KZ in Ravensbrück haben sie sich kennengelernt. Im KZ haben sie sich lieben gelernt. Ihre Liebe hat sie das KZ überleben lassen. Ihre Liebe hat sie sich wiederfinden lassen nach Kriegsende. Sie hat sie ein gemeinsames Leben in Caracas führen lassen. Ein Leben, das weder nach außen propagiert noch versteckt wurde, eine Liebe so selbstverständlich wie Liebe vielleicht nur sein kann, die keine Beweisdarstellungen nach außen braucht.

Dieser Liebe ist Magnus Gertten auf die Spur gekommen. In einem Filmprojekt hat er versucht, den Gesichtern eines Dokumentarfilmes von Frauen, die aus dem KZ befreit und nach Schweden gebracht worden waren, eine Geschichte zu geben.

Da steht eindrücklich Nadine, chinesischen Ursprungs, eine Diplomatentochter mit einer aufregenden Vorkriegsgeschichte. Sie verkehrte in Paris in dem berühmten Salon von Natalie Barney, war ihre Fahrerin, Angestellte und Geliebte – eine der Trouvaillen in diesem wunderbar sensiblen Film, der sein Zentrum auf einem Bauernhof in Nordfrankreich hat.

Hier lebt die Enkelin Sylvie von Nadine. Sie hatte als Kind Oma in Caracas besucht. Auf dem Dachboden finden sich Schachteln und Filmrollen aus der Hinterlassenschaft der Oma. Diese geht sie mit dem Dokumentarfilmer durch, eröffnet einen Blick auf zwei extreme Frauenschicksale des 20. Jahrhunderts.

Die Oma war eine international tätige Opernsängerin. Aber auch Spionin gegen die Nazis, was sie ins KZ brachte. Genau so überraschend und berührend wie die Liebesgeschichte im Zentrum des Filmes sind die Reaktionen der Enkelin, wie sie das Archivmaterial das erste Mal in die Hände nimmt, wie sie das von den beiden Frauen redigierte und mit Maschine abgetippte KZ-Tagebuch ihrer Oma liest, wie sie die Filme aus Caracas sieht, sie, die sich für ein Leben auf dem Bauernhof gegen das Leben mit einem Philosophen in Paris entschieden hat.

Das Archivmaterial eröffnet ihr Welten, die für sie weit weg sind, wenn überhaupt bisher vorstellbar. Es gibt offenbar so selbstverständliche wie komplexere Lebensweisen. Das ist nur eine zusätzliche Kontrasttiefe in diesen an extremen Kontrasten so reichen Leben, die hier archivarisch und mit wenigen neu befragten Zeugen, evoziert werden.

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