Leben am Bildschirm
Der Film über das Paar Nico und Jenny von Joscha Bongard, der mit Wolfgang Purkhauser auch das Drehbuch geschrieben hat, dokumentiert auch das Leben am Bilschirm als einer möglichen Variante modernden Dokumentierens.
Das beginnt mit der Internetrecherche nach den Protagonisten wie auch nach Wissenschaftlern, zeigt das Vor und Zurück beim Betrachten von Material; es übernimmt die Chatmasken für die Titel; der Pfeil der Maus jagt auf dem Bildschirm hin und her; es ist ein Eintauchen in die Internetwelt und findet Internetstars, die damit ihr Geschäft machen, dass sie ihr privates Sexleben gegen Entgelt ins Internet stellen.
So unbefangen
Jenny ist die Perle des Paares. Nico hat sie aufgetan. Er ist ihre erste Liebe. Er ist groß, männlich, sie viel kleiner, süß – irgendwie ein irre prototypisches Paar. Er hat sie zu den Filmen überredet. Es sind die klassischen Rollenbilder. Und da sie privat ein Paar sind, scheint dessen Sex für viele Käufer, überwiegend ältere Herren, wie sie sagen, von besonderem Interesse zu sein.
Die Unbefangenheit von Jenny ist wohl der Reiz, diese Unschuld, die Direktheit, die Natürlichkeit. Andererseits gibt das Paar zu verstehen, dass es zielbewusst handelt. Es hat sich von Motivationstrainern – aus dem Internet selbstverständlich, auch davon gibt es eine Auswahl im Film – animieren lassen; das ist wie ihre Religion; täglich vor dem Spiegel nach dem Aufstehen sich toll reden, sich groß reden, sich erfolgreich reden.
Und Erfolg haben sie, da sind sie selbst ganz erstaunt: sie leben auf Zypern, haben sich da ein großes Haus gemietet, es Hight-Tech, was Filmerei und Internet betifft, eingerichtet; und die vielen Kätzchen im Haus werden selbstverständlich für Tik-Tok-Clips herangezogen – aber auf Befehl mit dem Po wackeln, das mag Jenny dann doch nicht.
Nico ist auch völlig klar, dass sie ihr Geschäft im Grunde der immer noch in der Gesellschaft vorherrschenden sexuellen Verklemmtheit zu verdanken haben, dass Sex nach wie vor eine tabuisierte Sache sei. Da könnte man nachfragen, wie weit das auch gewollt sei aus Gründen von Herrschaftsdenken.
Jedenfalls macht das Dokuteam einen Betriebsausflug weg vom Bildschirm in das wahre Leben, reist nach Zypern, verbringt hier schöne Tage mit einer ergiebigen Fotostrecke vom Paar, die wieder in die Arbeit vor dem Bildschirm einfließt.
Bemerkenswert ist die Feststellung von Jenny, in all ihrer Offenheit, dass Nico einen viel größeren Sex-Bedarf habe als sie und dass sie nichts dagegen hat, wenn er auch mit anderen Frauen und auch mit zweien gleichzeitig Sex habe; sollte das verallgemeinerbar sein, was wäre, die Meinung von Alice Schwarzer dazu? Sie kommt hier am DOK.fest mit einer eigenen Hommage zu Wort.