Alice Schwarzer (DOK.fest 2022)

Erstaunlich

ist, dass sich eine Intellektuelle wie Alice Schwarzer überhaupt in Deutschland halten kann, wo deren Schubladisierung als Feministin einen Primat hat.

Deutschland, das sich schwer tut – im Gegensatz zu Frankreich – im intellektuellem Austausch mit Menschen, die kaum kategorisierbar sind, die wie Alice Schwarzer „frei und verantwortunsbewusst, emotional als auch intellektuell“ sind, wie sie sich selber beschreibt.

Der Film von Sabine Derflinger bestätigt dieses vielfältige Schwarzerbild, das weit über die Schublade Feministin hinausgeht.

Als Journalistin und Herausgeberin von EMMA sind die Themen selbstverständlich um die Frau gruppiert, die Emanzipation, die zweite Emanzipation, Gleichberechtigung, Abtreibung, Kopftuch, religiöser Fundamentalismus und Unterdrückung der Frau, Prostitution, Entmündigung der Frau zB in Iran.

Argumentativ ist es schwer, Schwarzer beizukommen, das zeigen jede Menge Talk-Show-Ausschnitte, beginnend in den frühen 70er Jahren. Aber dass ein Mensch nicht nur ein Lebensthema hat, sondern eine unglaubliche Offenheit, dass sie Charisma hat, dass sie keine Scheu vor anderen Menschen hat, damit tut sich die deutsche Gesellschaft offenbar immer noch schwer.

Andererseits ist Alice Schwarzer inzwischen längst ein Promi, das ist dann vielleicht auch wieder eine Kategorie, mit der der Deutsche leben kann; aber dieses Thema wird nicht angesprochen. Es gibt gegen Ende einen Hinter-den-Kulissen-Blick vor einem TV-Promi-Auftritt.

Der Film ist ein unaufhörlicher Strom durch das Leben von Alice Schwarzer, springt vor und zurück, taucht ein in das Frankreich der Nach-68-er, Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir kommen in Archivausschnitten vor, es gibt öffentliches wie privates Archivmaterial der Intellektuellen, es gibt eigens für diesen Film angefertigte Interviews, ein Begehung der Treppen zum Gartenhaus ihrer Großeltern in Wuppertal, in dem sie die Freiheiten und den menschlichen Respekt kennengelernt hat.

Immer wieder gibt es Einblicke in die Redaktionsarbeit von EMMA. Erinnert wird an eine Talk-Show, die von Hausbesetzern gestürmt wurde und die spontane Reaktion von Frau Schwarzer.

Der Film ist auch ein Abriss eines Ausschnittes aus der deutschen TV-Show- und Intellektuellen-Geschichte, aus der Pressegeschichte der Bundesrepublik.

Sowieso gewinnt Alice Scharzer die Herzen der Zuschauer mit ihrem entwaffnenden Wesen, weil sie eben kein weiblicher Macho ist, kein weiblicher Alpha-Typ als Pendant und Konkurrenz zu den Männern, weil sie ein Mensch weiblichen Geschlechtes ist und als solcher die Belange der Frauen besonders ernst nimmt, weil sie hellwach Unstimmigkeiten wahrnimmt und sich verantwortlich fühlt, das auch mitzuteilen und weil sie, das macht sie faszinierend, darin besonders beschlagen und wortgewandt wie auch informiert ist.

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