Abteil Nr. 6

Art pour l‘ Arthouse

oder die schwebend akademische, nicht ganz abwegige Frage, ob die Finnin Laura (Seidi Haarla), die endlos in eine Estin verliebt ist, wenn sie nur lang genug in einem Zugabteil mit dem Russen Ljoha (Yuriy Borisov) verbringt, sich allenfalls umorientieren könnte.

Des Rätsels Lösung könnten möglicherweise die Petroglyphen von Murmansk liefern, die das Ziel der Reise sind.

Eine Winterreise. Laura plant mit ihrer Freundin aus Estland eine winterliche Bahnreise nach Murmansk, um dort die berühmten Petroglyphen zu sehen. Allzu genau kann sie es mit den Reisevorbereitungen nicht genommen haben, sonst wüsste sie, dass das im Winter unter Umständen schwierig werden kann. Das zeigt aber auch, dass die Petroglyphen wohl eher ein Vorwand für eine Reise sind – und damit für ein Roadmovie für Regisseur Juho Kuosmanen (Der glücklichste Tag im Leben des Olli Makel), der mit Andris Feldmanis auch das Drehbuch nach dem Roman von Rosa Liksom geschrieben hat – eine kuschelige Reise mit der Geliebten in einem kuscheligen Schlafwagenabteil der russischen Eisenbahn, die hier so richtig filmromantisch rüberkommt, das wäre die Idee.

Wie denn Kuosmanen sowieso enorme Fertigkeiten und Talente in der Filmsprache vorweist. Oft ist er seinen Protagonisten dicht auf den Fersen, immer nah an ihnen ran oder schaut mit ihnen aus dem Zug ins winterliche Russland und immer scheint es, dass er nur mit realen Lichtquellen arbeitet.

Die Schaffnerin ist prototypisch russisch, aber nicht ganz so klischeebös.

Die Reise fängt für Laura mit einer Enttäuschung an. Wie sie bei der Freundin ankommt, ist deren Bude voll; ein literarisches Völkchen raucht, trinkt, unterhält sich. Mit Intimität mit der Freundin ist nicht viel. Und dann sagt sie die Teilnahme an der Reise ab.

Aber Laura ist doch vielschichtiger als nur liebesfixiert; ihr Interesse an den Petraglyphen motiviert sie aus Erkenntnishunger. Sie fährt allein los und im Abteil sitzt bereits der quirlige, mindestens angeheiterte Ljoha. Auf dem Tisch hat er Chaos angerichtet; schön charakterisierend für ihn ist die Geste, mit der er den Reise-Klapp-Becher auffächert. Er macht Laura direkt ordinär machohaft an, ob sie eine Käufliche sei. Er will ein Kontor eröffnen und sich das Geld dafür im GOK Bergbaukombinat von Murmansk verdienen.

Im Laufe der Reise wird sich das erste Erscheinungsbild von ihm, sein Eindruck deutlich differenzieren. Da sind Überraschungen eingebaut in das Drehbuch, schließlich bietet so eine ellenlange Zugfahrt genügend Möglichkeiten auch für Pausen, mal eine ganze Nacht, wo die Passagiere Auslauf haben und andere Erfahrungen machen können. Aber auch andere Passagiere im engen Abteil können zwischenzeitlich die Gruppendynamik und damit die persönlichen Entwicklungen befördern.

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