Der Mensch als Fremdkörper
in der unberührten Natur des steppen- bis wüstenhaften Hochgebirges von Tibet, das vermittelt einem der französische Naturphotograph Vincent Munier in den Gesprächen mit seinem Begleiter Sylvain Tesson auf der Suche nach dem Schneeleoparden.
Der Photograph weiß, dass er lange bevor er ein Tier sieht, selbst gesehen (und auch gerochen) wird in dieser kargen, ausgestellten Landschaft mit den vielen Felsvorsprüngen und -nischen. Deshalb bewegt er sich ruhig, in Tarnanzügen, er spricht nur gedeckt mit seinem Begleiter, der bittschön mit seinen beiden Gehstöcken nicht zu laut werden soll.
Oft nur nach stundenlangem Ausharren, gar nach dem Übernachten in einer Felsnische, wagen sich die Tiere heraus, fühlen sich unbeobachtet. Nicht immer. Ein wildes Yack (monumental urtierhaft wie anachronistisch) schaut bedrohlich in Richtung der getarnten Fotografen, die versuchen, jede Bewegung zu vermeiden, was dem Begleiter, der in der Zivilisation ein gehetztes Leben mit Vortragsreisen, Lesungen, Terminen führt, nicht immer leicht fällt.
Aber der Begleiter schreibt eifrig Tagebuch. Das ergibt einen Teil des Voice-Over-Textes: zivilisationskritische Gespräche über die Natur, ihre Schönheit und den Respekt vor ihr, deren Magie, die der Film großartig transportiert – mit viel tierischem Beifang nebst Sandstürmen: Bären, wilde Yakas, Wüstenfuchs, Blauschafe, die grimmige Pallaskatze.
Den Sond besorgt Nick Cave mit schwerem, archaischem Groove.
Der Titel dürfte nicht „Der Schneeleopard“ heißen, wenn er nicht schließlich vor die Kamera käme, von der Kamera gesehen würde. Wobei er vermutlich viel früher die Männer und die sie fotografierende Marie Amiguet in den endlosen und kaum bewachsenen Wüsteneien der Gebirgszüge und Hochebenen Tibets gesehen hat.
Das hat etwas Unheimliches gerade im offenen Gelände, das oft von gefurchten Berghängen eingerahmt ist, nicht zu wissen, wer einen gerade beobachtet, das können ja auch gefährliche Tiere sein und der Menschengeruch, hier geht es ins Philosophische über, der haftet nun mal in der Natur.
Einmal besuchen Kinder einer Familie von Tibetanern die Fotojäger. Einmal sieht man Nomaden durch die Ödnis ziehen. Aber nicht einmal Flugzeuge sind am Himmel zu sehen. Natur, Weite, über 5000 Meter Höhe, das bringt die Fotojäger zum Schnaufen, umso mehr bewundern sie die Tibet-Gazelle, wie die ohne außer Atem zu kommen einen 5000 Meter Sprint hinlegt.
Für den Städter dürfte der Film ein Stück Eskapismus sein, sich in eine unberührte Natur hinausbeamen lassen ohne den mühsamen Anfahrtsweg; eine Art Seelenmassage. Sich der Magie der reinen Natur ergeben; erfahren, was die Kunst der Lauer ist, spüren, wie diese Orte die Menschen atmen lassen. Die Unterhaltung ist meist in gedecktem Ton, um ja keine Tiere aufzuschrecken. Teils geraten die beiden Naturphilosophen direkt ins Schwärmen, besonders wie sie endlich, wenn auch erst mal nur auf der Fotofalle, des Schneeleoparden ansichtig werden.